Ein-Personen-Unternehmen (EPU) sind in Österreich in vielen Bereichen – unter anderem in der IT-Branche – mittlerweile unverzichtbar. Die Bedingungen, unter denen die rund 357.000 heimischen EPU arbeiten, sind jedoch verbesserungswürdig. [...]
Stell dir vor: Du arbeitest 46 Stunden in der Woche. Dafür bekommst du netto 16.000 Euro im Jahr. Ein Urlaub wird zur Herausforderung, weil es zusätzlich zum geringen Einkommen kein Urlaubsgeld gibt. Weihnachtsgeld bekommst du auch nicht. Wenn du zur Ärztin musst, dann beträgt der Selbstbehalt für den Besuch 20 Prozent der Kosten. Ich denke, wir sind uns einig, dass du zu diesen Bedingungen eigentlich nicht arbeiten würdest. Die Realität zeigt aber, dass die Unternehmensform, die in Österreich am häufigsten vorzufinden ist, genau unter diesen Bedingungen arbeitet. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei Ein-Personen-Unternehmen (EPU) beträgt in Österreich nämlich 46 Stunden – und das bei einem Medianjahreseinkommen von 16.000 Euro.
EPU sind überall
EPU sind in den verschiedensten Bereichen tätig. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hattest du heute bereits Kontakt zu einem: von der Paketzustellerin, die als Subunternehmen für ein großes amerikanisches Handelsunternehmen tätig ist, über die Taxifahrerin, die für eine Plattform ihre Fahrdienste anbietet, bis hin zum IT-Profi, der die Seite programmiert hat, auf der du deine Nachrichten heute gelesen hast, sind das alles Bereiche, in denen EPU tätig sind. Möglicherweise hast du sogar selbst ein EPU gegründet und ärgerst dich, dass deine Branche in dieser Aufzählung nicht enthalten war. Dein Gefühl des Ärgers ist legitim, denn die Unsichtbarkeit vom Dasein von EPU ist eines der Hauptprobleme in Österreich. Wenn wir über Wirtschaft diskutieren, sind zentrale Themen Geldpolitik, geopolitische Risiken, technologische Fortschritte oder globales Wirtschaftswachstum. Die Rolle, die EPU in unserem Wirtschaftskreislauf einnehmen, haben hier kaum bis gar keinen Platz. Dieser Umstand ist sicherlich auch darin begründet, dass es sich dabei eben nicht um eine homogene Gruppe handelt. Genau deshalb sollten wir mehr über EPU sprechen.
Einzelkämpfer:innen im Dienstleistungsbereich
Für Österreich und unsere Wirtschaft sind diese Art von vielfältigen Dienstleistungen genau aus dem Grund zentral. In manchen Bereichen sind EPU mittlerweile sogar unverzichtbar, wie etwa im Pflegebereich, wo Personenbetreuer:innen auf selbstständiger Basis eine wichtige Säule in der Pflegelandschaft einnehmen. Generell geschieht sehr viel der Arbeit, die EPU liefern, im Dienstleistungssektor. Insbesondere dieser Sektor wird für uns in Zukunft noch von zentraler Bedeutung sein, denn es handelt sich um jenen Sektor, der aufgrund von demografischem Wandel, aber auch der Klimakrise besondere Aufmerksamkeit bedarf. Gleichzeitig ist es auch der nachhaltigste Sektor, da Dienstleistungen meist ressourcenschonend sind. Überhaupt sind EPU häufig Innovationsträger:innen, womit sie neue Geschäftsfelder und Produkte in unsere Wirtschaft bringen.
Es braucht Interessensvertretung
Nun wirst du sagen: „Alles schön und gut. Aber wenn EPU, bei einer gleichzeitig hohen Relevanz für unsere Wirtschaft, eine so anzahlstarke Unternehmensform ausmacht, warum sind dann die Bedingungen für diese Branche so wie eingangs beschrieben?“ Ich würde dir in deinem Unverständnis aufs Neue zustimmen, denn jetzt müssen wir über Interessensvertretungen sprechen. Knapp vier Millionen Menschen erhalten in Österreich Urlaubs- und Weihnachtsgeld, weil Gewerkschaften und Arbeiterkammer als deren Interessensvertretung dies für sie erkämpft haben und jedes Jahr bei den Kollektivvertragsverhandlungen aufs Neue verteidigen. Genauso stellen die Normalarbeitszeit und die Gesundheitskasse Prinzipien dar, die von Interessensvertretungen erkämpft wurden. Gewerkschaften haben in der Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungsträger:innen dabei den Vorteil eines starken Mandats, da sie sich auf freiwillige Mitglieder stützen können, die sich mit ihrer Mitgliedschaft aktiv für die Unterstützung von Forderungen ausgesprochen haben. Eine gesetzliche Interessenvertretung hingegen hat den Vorteil, mit der Unterstützung ihrer Mitglieder viel besser planen zu können, wodurch sich ein ganz anderer finanzieller Handlungsspielraum ergibt. Gemeinsam mit einer Gewerkschaft kann so eine politische Gegenmachtsfähigkeit erzeugt werden, mit der Verbesserungen für vertretene Interessensgruppe erwirkt werden.
Gewerkschaft weitergedacht
Jetzt wirst du mir entgegenhalten, dass dies eine schöne Geschichte über die Vorteile der österreichischen Sozialpartnerschaft ist, aber Gewerkschaften nun einmal keine Selbstständigen vertreten. Und ich würde argumentieren: „Wo steht das?“ Es gibt kein Naturgesetz, das uns vorgibt, wie wir die Interessensvertretung in unserem Land zu leben haben. Gewerkschaften sind eine Erfindung der Arbeiter:innenbewegung, was die gute Idee, diese in vielfältigeren Bereichen anzuwenden, nicht ausschließt. Im Gegenteil: Gute Ideen leben davon, dass sie weitergedacht werden. So wie Gewerkschaften für Arbeiternehmer:innen da waren, können sie es in Zukunft auch überall sein, Arbeit geschieht. Und wie wir bereits beleuchtet haben, geschieht in Österreich besonders viel Erwerbsarbeit durch EPU. Deren gesetzliche Interessensvertretung steht dabei vor dem Dilemma, dass diese große Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen genauso vertreten muss, wie die vielen EPU und KMU. In einem globalen Wirtschaftssystem hat dies zu Folge, dass große Firmen die Möglichkeit innerhalb unseres Steuersystems voll ausnutzen und kleinere Firmen im Verhältnis wesentlich mehr Steuern zahlen.
Unterstützung durch vidaflex
Womit wir bei einer weiteren Herausforderung für EPU sind – den Steuern und Abgaben. Denn EPU haben oft nicht die Möglichkeiten, um mit bürokratischem Aufwand die Steuerlast zu senken, wobei die Steuerberatung an sich im Verhältnis zum Einkommen bereits einen hohen Mehraufwand darstellt. Daraus resultiert ein Wettbewerbsnachteil gegenüber den ohnehin schon großen Unternehmen. All diese Herausforderungen zeigen, dass die gesetzliche Interessensvertretung für EPU oft nicht ausreichend ist. Aus diesem Grund gibt es vidaflex, eine gewerkschaftliche Initiative für EPU und KMU, die erste Initiative dieser Art in Europa. vidaflex versucht, mit einer Rechtsschutzversicherung, einem Kontopaket und vielen weiteren Vergünstigungen Antworten auf die häufigsten Fragen, mit denen EPU in ihrem Geschäftsalltag konfrontiert werden, zu geben. Mit vidaflex versuchen wir über dies hinaus, mit dem Wissen der Gewerkschaftsbewegung und den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, eine Verbesserung der Rahmenbedingungen gegenüber den politischen Kräften zu erwirken.
EPU: Selbstbestimmt und aufstrebend
Denn wie die Zahl von 357.000 EPU beweist, gibt es trotz all der Herausforderungen viele Gründe, warum man als EPU tätig sein will. Dazu zählen die Möglichkeit der flexiblen Zeiteinteilung, der Selbstverwirklichung und der Unabhängigkeit. Hinzu kommt, dass Österreich als Standort eben doch nicht so unattraktiv ist, wie manche es uns weismachen wollen. Wir profitieren von einer sehr guten Infrastruktur mit hohem sozialen Frieden, was zur Folge hat, dass 32 Prozent der EPU sich vorstellen können, Mitarbeiter:innen einzustellen und 7 Prozent dies sogar definitiv planen.
vidaflex verliert immer wieder Mitglieder, doch das freut uns, denn es bedeutet, dass ein EPU gewachsen ist und als neue Betriebsratskörperschaft gewonnen werden konnte. Dadurch wird das EPU zu einem weiteren Beispiel für den Erfolg dieser Unternehmensform. Eine 46-Stunden-Woche klingt definitiv nicht gut. Als vidaflex arbeiten wir daran, dass dies nicht länger den Normalzustand darstellt, und dass EPU auch andere Herausforderungen gut meistern. Jedes Mitglied trägt dazu bei, dies zu ändern.
* Michael Fedorcio ist seit 2024 als Generalsekretär bei vidaflex tätig und setzt sich dabei besonders für EPU und KMU ein. Der gebürtige Tiroler war zuvor als Büroleitung im ÖGB Tirol tätig. Seine akademische Laufbahn beschloss er mit einem Masterabschluss in Organization Studies an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck.
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