4-Tage-Woche: „Die Nachfrage wächst“

Kommt die 4-Tage-Woche? Seit der Pandemie experimentieren Unternehmen auch mit neuen Arbeitszeitmodellen. Ein Blick auf die Vor- und Nachteile des Abschieds von der 5-Tage-Woche. [...]

Kommt nach dem weltweiten Remote-Work-Umschwung nun die 4-Tage-Woche? (c) pixabay.com

Der weltweite Trend zu Remote und Hybrid Work treibt unerwartete Blüten: Die Vier-Tage-Woche wird immer öfter als realistische Option in Betracht gezogen. Das schürt die Hoffnung, dass in Sachen Arbeitszeitmodelle bald ein Wendepunkt erreicht sein könnte.

Nachdem viele Unternehmen im Zuge der Pandemie ihre Arbeitsweise überdacht haben, werden in einer ganzen Reihe von Branchen auch die Rufe nach einer Abkehr von der 5-Tage-Woche lauter: „Das hat den Unternehmen das nötige Selbstvertrauen gegeben, um auch flexible Arbeitszeitregelungen wie die Vier-Tage-Woche in Betracht zu ziehen“, meint Raúl Castañón, Senior Analyst bei 451 Research.

4-Tage-Woche: Vorteile

Es gibt eine Reihe von aktuellen Beispielen von Unternehmen, die eine 4-Tage-Woche testweise oder dauerhaft einführen wollen oder das bereits tun:

„Die Nachfrage nach einer Vier-Tage-Woche wächst“, sagt David Spencer, Professor für Volkswirtschaft und politische Ökonomie an der Universität Leeds. Die Arbeitnehmer erhofften sich von einem zusätzlichen freien Tag mehr Autonomie, ein besseres Wohlbefinden und weniger Stress.

Auch für die Arbeitgeber gebe es Vorteile: Diejenigen, die zu einer kürzeren Woche übergegangen seien, hätte festgestellt, dass die Mitarbeiter genauso produktiv sind und sich die Krankheitsausfälle verringern. „Das deutet darauf hin, dass eine 5-tägige Arbeitswoche relativ ineffizient sein könnte“, so Spencer. Da der Fachkräftemangel bestehen bleibe, werde eine kürzere Woche als eine weitere Möglichkeit für Unternehmen gesehen, Mitarbeiter anzuziehen und zu halten.

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4-Tage- vs. 5-Tage-Woche: Der lange Weg

Die 5-Tage-Woche ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts nach jahrzehntelangen Arbeitsreformen der Standard für Arbeitnehmer. Bereits 1926 wurde den US-Arbeitern in den Automobilwerken von Ford eine 5-Tage- und 40-Stunden-Woche angeboten. Zwei Jahre später prognostizierte der Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes für die kommenden 100 Jahre eine 15-Stunden-Woche (was sich nicht bewahrheitet hat).

Den Innovationen der folgenden Jahrzehnte, die die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer optimierten und den anhaltenden Rufen nach Arbeitszeitverkürzung zum Trotz – die Vier-Tage-Woche ist bislang weitgehend unerreichbar geblieben: Umfrageergebnisse von Gallup belegen, dass fünf Prozent der US-Beschäftigten heute vier Tage pro Woche arbeiten, doppelt so viele (11 Prozent) arbeiten sechs Tage – die überwältigende Mehrheit (84 Prozent) fünf Tage. „Die Technologie hat uns vielleicht ermöglicht, mehr zu produzieren, aber sie hat uns noch nicht die Freiheit verschafft, weniger zu arbeiten“, so Spencer.

Dennoch verschwindet das Konzept der 4-Tage-Woche nicht. Staatlich geförderte Versuche in mehreren Ländern haben einige positive Auswirkungen einer kürzeren Arbeitswoche aufgezeigt und bieten einen Ausblick darauf, wie sie umgesetzt werden könnte:

  • In einem viel beachteten Pilotprojekt in Island, das zwischen 2015 und 2019 stattfand (und dessen Ergebnisse im vergangenen Jahr veröffentlicht wurden) wurde die Arbeitszeit von 2.500 Arbeitnehmern von 40 auf 35 Stunden pro Woche reduziert, was sich positiv auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer und die Produktivität auswirkte.
  • Ähnliche Ergebnisse lieferte ein 2017 veröffentlichter Versuch in Schweden, bei dem Beschäftigte des Gesundheitswesens auf einen Sechs-Stunden-Tag umgestellt wurden.
  • In der Privatwirtschaft haben verschiedene Unternehmen diese Idee ausprobiert. Microsoft hat beispielsweise 2019 vorübergehend eine 4-Tage-Woche mit Mitarbeitern in Japan getestet und dabei eine Steigerung des Wohlbefindens und der Produktivität der Mitarbeiter festgestellt.

Vier-Tage-Woche: Remote Work als Türöffner

Das wiederaufkeimende Interesse an der Idee ist auf die Bereitschaft der Unternehmen zurückzuführen, mit neuen Arbeitsformen zu experimentieren. Die Verlagerung ins Home-Office hat die Bindung an die übliche 9-to-5-Büroroutine gelockert und viele suchen nach flexiblen Zeitplänen, um Kinder zu betreuen oder Eltern zu pflegen, während sie von zu Hause aus arbeiten. Das Argument: Wenn die Mitarbeiter bei Bedarf für Besprechungen zur Verfügung stehen – und die Leistung gleich bleibt – ist es im Grunde weniger wichtig, wo oder wann ein Mitarbeiter tatsächlich arbeitet.

„Es ist keine Überraschung, dass einige der lautesten Befürworter der 4-Tage-Woche Unternehmen sind, die schon seit einiger Zeit komplett auf Remote Work setzen. Der Gedanke dahinter: ‚Solange wir die Arbeit erledigen, können wir uns so viel Zeit nehmen, wie wir wollen'“, meint James McQuivey, Vice President und Research Director bei Forrester. „Die 4-Tage-Woche wird durch die Verschiebung des Denkens von ‚Wie viele Stunden arbeitet jemand?‘ zu ‚Wie viel Wert schafft er?‘ begünstigt.“

Die 4-Tage-Woche wird auch als eine Möglichkeit angepriesen, den Stress der „Heimarbeiter“ zu reduzieren. Trotz anfänglicher Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit von Arbeitnehmern, zu Hause produktiv zu bleiben, deuten erste Anzeichen darauf hin, dass das Gegenteil der Fall ist: Burnout ist eher ein Problem, wenn Arbeitnehmer zusätzliche Stunden zu Hause arbeiten und Schwierigkeiten haben, außerhalb des traditionellen 9-to-5-Tages abzuschalten.

„Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Arbeitnehmer von zu Hause aus genauso hart arbeiten, wenn nicht sogar noch härter“, beobachtet Grace Lordan, Professorin an der London School of Economics and Political Science. „Es gibt eine Gruppe von Arbeitnehmern, die seit Langem auf Abruf zur Verfügung stehen, sodass es nicht verwunderlich ist, dass sie ausgebrannt sind. Die Forderungen nach einer 4-Tage-Woche kommen daher, dass die Menschen erkennen, dass das nicht tragbar ist.“

Vier-Tage-Woche: Erfahrungen aus der Praxis

Beim Sicherheitsanbieter DNSFilter berichten die Mitarbeiter seit dem Start eines Vier-Tage-Woche-Pilotprojekts im letzten Jahr von „weniger Stress, höherer Produktivität und höherer Arbeitszufriedenheit“ , so Laura Durfee, Director of Talent Acquisition. Das Unternehmen bietet eine 4-Tage-Woche „auf Rotationsbasis“ an: Zwei Gruppen von Mitarbeitern nehmen abwechselnd einen Freitag frei – bei gleicher Bezahlung und gleichen Leistungen. Die Initiative wurde als Erfolg gewertet, die Regelung inzwischen dauerhaft eingeführt.

„Ein zweitägiges Wochenende ist für viele Menschen nicht genug Zeit, um sich vollständig zu erholen – insbesondere im New Normal, wenn Arbeit und Privatleben verschmelzen. Mit einem dreitägigen Wochenende haben die Mitarbeiter mehr Zeit für persönliche Angelegenheiten und Termine. Das bedeutet, dass sie an den vier Tagen, an denen sie tatsächlich arbeiten, viel mehr erreichen“, meint die HR-Expertin und ergänzt, ein weiterer Motivator sei die Gewinnung und Bindung von Talenten: „Als wachstumsstarkes Startup-Unternehmen konkurrieren wir mit vielen großen Unternehmen um die besten Mitarbeiter, und die Vier-Tage-Woche ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal.“

Bei der neuseeländischen Personalvermittlungsfirma Talent Army hat die Umstellung auf eine Vier-Tage-Woche ebenfalls die Produktivität erhöht. Der Plan von Talent Army sah vor, allen Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich den Freitag freizunehmen. Dabei steht wechselweise jeweils ein Mitarbeiter an diesem Tag auf Abruf zur Verfügung, um dringende Anfragen zu beantworten. „Wir haben festgestellt, dass die Mitarbeiter in der Lage waren, ihre Arbeit in den vier Tagen zu erledigen, wobei an unserem freien Tag nur sehr wenig Arbeit anfiel“, so Troy Hammond, Gründer des Personalvermittlers.

Für das Unternehmen sei es von entscheidender Bedeutung gewesen, die Kunden über die Umstellung zu informieren, um ihnen den Übergang zu erleichtern: „Wir mussten unsere Kunden darüber informieren, dass wir einen Tag in der Woche nicht online sein würden. Obwohl das anfangs eine Herausforderung war, haben uns die Kunden unterstützt und das Feedback war insgesamt positiv.“

4-Tage-Woche organisieren: Modelle

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, eine Vier-Tage-Woche im Unternehmen zu etablieren:

  • Viele Mitarbeiter erhalten einen festen freien Tag pro Woche, ohne dass sich die Vergütung ändert.
  • In einigen Unternehmen ist die 4-Tage-Woche fakultativ, wobei das Gehalt entsprechend gekürzt wird.
  • Andere Strategien umfassen die Verdichtung einer vollen 40-Stunden-Woche auf vier Zehn-Stunden-Tage.

Weitere Modelle:

  • die Umstellung von fünf Acht-Stunden-Tagen auf fünf Sechs-Stunden-Tage;
  • eine 4-Tage-Woche, die alle zwei Wochen eingeführt wird, mit einem freien Tag in jeder zweiten Woche;
  • eine Vier-Tage-Woche, die saisonal eingeführt wird, wobei die Mitarbeiter in den ruhigeren Sommermonaten einen Tag pro Woche frei bekommen;
  • einige Unternehmen bieten „flexible“ oder „agile“ Freitage an, an denen die Mitarbeiter bei Bedarf weiterhin auf Abruf bereitstehen müssen.

Nicht allen Unternehmen fällt es leicht, dabei das richtige Gleichgewicht zu finden. Die Wellcome Trust, eine britische Stiftung für Gesundheitsforschung, beendete beispielsweise 2019 ihr 4-Tage-Woche-Experiment mit dem Fazit, diese sei „operativ zu komplex, um sie dauerhaft umzusetzen„. Dass die mit einer Vier-Tage-Woche verbundenen Herausforderungen nicht unterschätzt werden sollten, weiß auch Forrester-Mann McQuivey: „Sehr große Unternehmen und Organisationen mit komplizierteren Personalstrukturen sollten nicht zu aggressiv an die Sache herangehen, denn je größer das Unternehmen ist, desto vielfältiger sind die Abteilungen und Bereiche und die Arbeitsanforderungen.“

Mitarbeiter mehr nach ihrer Leistung und weniger nach ihren Arbeitsstunden zu beurteilen, sei ebenfalls leichter gesagt als getan, gibt McQuivey zu bedenken: „Die erste Frage ist: ‚Wie wollen Sie messen, ob jemand seine Arbeit macht? Das ist schwieriger, als es aussieht. Es gibt viele Leute in der Softwareentwicklung, deren Arbeit wirklich an der Menge des Codes gemessen werden kann, den sie in einer Woche managen und an den Projekten, die sie in einem Monat abliefern. Aber selbst unter diesen Umständen gibt es noch weichere Maßstäbe wie: ‚Trägt jemand zur Ausbildung seiner Kollegen, zum Teamgeist, zur Unternehmenskultur bei?‘ und so weiter.“ Klarheit darüber, wie die Leistung bewertet wird, sei von entscheidender Bedeutung, damit die Mitarbeiter nicht mehr arbeiten als vorgesehen, nur um ihrem Chef zu gefallen: „Wenn Sie mit einer Vier-Tage-Woche werben und am Ende eine Viereinhalb-Tage-Woche abliefern, untergräbt das nur die Arbeitskultur und die Beziehungen“, warnt McQuivey.

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Vier-Tage-Woche: Wie geht es weiter?

Trotz der Herausforderungen scheinen Initiativen zur Umsetzung der 4-Tage-Woche im Aufwind. Die Non-Profit-Organisation 4 Day Week Global hat weltweit mehrere Pilotprojekte koordiniert, wobei sich 30 Unternehmen im Vereinigten Königreich kürzlich zu Versuchen verpflichtet haben. Ähnliche Initiativen gibt es auch in den USA, Kanada, Neuseeland und Australien. Auch die Regierungen von Irland, Schottland und Spanien haben sich verpflichtet, Unternehmen bei der Erprobung einer Vier-Tage-Woche zu unterstützen.

Wissenschaftlerin Lordan hält es für wahrscheinlich, dass die Vier-Tage-Woche kommt – zumindest für die Jobs, die für flexible Arbeitszeiten geeignet sind. „Ich gehe jedoch davon aus, dass die Übergangsphase noch einige Zeit andauern wird. Genauso wie einige Arbeitnehmer sich zu Unternehmen hingezogen fühlen werden, die hybrides Arbeiten anbieten, werden manche Arbeitgeber sich um Arbeitnehmer bemühen, denen Wohlbefinden und Work-Life-Balance wichtiger sind als ein höheres Gehalt.“

Laut McQuivey sei das Interesse an einer Vier-Tage-Woche auch bei den Geschäftskunden von Forrester gestiegen. Aber auch andere Themen zur Zukunft der Arbeit wie die Anpassung an hybride Arbeitsformen stünden ganz oben auf der Prioritätenliste: „Die Leute such uns nicht speziell wegen der 4-Tage-Woche auf. Es ist vielmehr ein Teil einer größeren Liste von Dingen, die Unternehmen in Betracht ziehen“, sagt der Analyst.

Kleinere Firmen wie Softwareunternehmen mit spezialisierten Arbeitskräften (und einer flachen Hierarchie) seien anfangs vielleicht am besten für eine 4-Tage-Woche geeignet, so McQuivey. „Das Hauptaugenmerk wird auf den Vorreitern liegen. Erfolgreiche, langfristige Initiativen werden wahrscheinlich den Anstoß für eine breitere Akzeptanz geben. Die Frage ist, ob die Unternehmen die 4-Tage-Woche effektiv zu ihrem Vorteil nutzen können.“ (hk/mp/fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.com.

*Matthew Finnegan lebt in Großbritannien und schreibt für unsere US-Schwesterpublikation Computerworld zu den Thema Collaboration und Enterprise IT.


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