Customer Experience: Banken starten digitale Aufholjagd

Viele Finanzinstitute tun sich schwer mit der Digitalisierung. Es hakt vor allem an der Customer Experience. [...]

Um in Zukunft erfolgreich zu sein, darf Kundenorientierung nicht länger nur die Verantwortung der Marketing-, Vertriebs-, Produktentwicklungs- oder der Servicefunktionen der Bank sein (c) pixabay.com

Die Pandemie hat der Digitalisierung fast aller unserer Lebensbereiche noch einmal einen kräftigen Schub verschafft. Und so ist es kaum verwunderlich, dass dies auch für die Art und Weise gilt, wie wir mit unserer Bank interagieren: ganz selbstverständlich erwarten wir ein ebenso unkompliziertes Kundenerlebnis wie zum Beispiel beim Online-Shopping. Gerade in der Krise wurde uns allen klar, wie wichtig digitale Interaktionen in unserem täglichen Leben sind.

Das letzte Jahr hat gleichzeitig gezeigt, dass auch die Banken durchaus in der Lage sind, ihre digitale Transformation zu beschleunigen – wie so vieles ist eben auch die Digitalisierung eine Frage der Prioritäten. Wenn überall die Filialen geschlossen sind, bleibt keine andere Wahl, als digitale Wege zu nutzen. Bankmitarbeiter wurden innerhalb kürzester Zeit befähigt, ihre Kunden aus der Ferne zu bedienen. Noch bleibt viel zu tun, aber auch im Bankensektor zeichnet sich mittlerweile ein fundamentaler Kulturwandel ab, der mit dem technologischen Fortschritt Hand in Hand geht.

Kunden erwarten heute einfachen Zugang zu Finanzdienstleistungen und -instrumenten, unabhängig von Zeit und Ort. Das erfordert vor allem eine grundlegende Neugestaltung der Customer Experience. Um den Kundenbedürfnissen in der digitalen Welt gerecht zu werden, müssen Banken ihr Geschäftsmodell überdenken, innovative Technologien nutzen, in ihre Mitarbeiter investieren, ihre Partnerschaften ausbauen und gleichzeitig ihre Servicekosten senken. Aber trotz positiver Entwicklungen gibt es immer noch Schwächen in der Customer Experience und bei der operativen Transformation der Banken.

Nachholbedarf der Banken bei der digitalen Transformation

In der aktuellen Global Banking Benchmark Study bewertet das Beratungshaus Publicis Sapient in Zusammenarbeit mit Longitude Research den Reifegrad der digitalen Transformation in der Bankenbranche. Für die Studie wurden mehr als 1.000 Führungskräfte von Privat- und Geschäftsbanken in 13 Ländern befragt. Zusätzlich wurde eine Reihe qualitativer Tiefeninterviews mit Entscheiderinnen und Entscheidern von JP Morgan Chase, HSBC, ING und BNP Paribas geführt.

Laut Studie haben 83 Prozent der Banken zwar eine klar formulierte digitale Transformationsstrategie, aber mehr als die Hälfte der Befragten beklagt, dass sie bei der Umsetzung bisher keine nennenswerten Fortschritte gemacht habe. Zudem gaben 70 Prozent an, dass die Pandemie Schwächen in ihrer Customer Experience offengelegt habe. Für den überwiegenden Großteil, nämlich 81 Prozent, hat Covid-19 die Dringlichkeit erhöht, ihre digitalen Fähigkeiten zu verbessern.

Die etablierten Banken sind sich bewusst, dass sie mehr tun müssen, um mit Digital-First-Playern, Fintechs und Technologieunternehmen Schritt halten zu können. Für 85 Prozent der Befragten ist Customer Experience ein wichtiger Erfolgsmaßstab, doch weniger als ein Drittel priorisiert Datenintegration für eine 360-Grad-Kundensicht. Die Banken wissen, dass sie vor allem beim Kundenerlebnis und im operativen Geschäft besser werden müssen – Bereiche, in denen gerade die Wettbewerber aus dem Fintech-Lager punkten.

Die Studie ordnet die Banken in vier Gruppen ein, abhängig vom jeweiligen Entwicklungsgrad in den Bereichen Customer Experience und Operational Transformation. Nur 14 Prozent der Teilnehmer wurden als „Transformation Leaders“ eingestuft, die Mehrheit (71 Prozent) zählt zum Kreis der „Slow Starters“.

Google, Amazon und Netflix als Vorbilder

Um in Zukunft erfolgreich zu sein, darf Kundenorientierung nicht länger nur die Verantwortung der Marketing-, Vertriebs-, Produktentwicklungs- oder der Servicefunktionen der Bank sein. Sie muss als die zentrale Kulturkomponente verstanden werden. Jeder Kernprozess und damit jeder Bereich der Bank muss Kundenmetriken nutzen, um sinnvolle Entscheidungen bezüglich Strategie, Roadmap und der damit verbundenen Investitionen treffen zu können. Dabei können sich die Banken einige Erfolgsfaktoren bei Innovationsführern wie Google, Amazon oder Netflix abschauen:

  • 1. Eine kundenorientierte Kultur: Banken müssen das Potenzial neuer Technologien für ihre Kunden erkennen und die Fähigkeit erlernen, diese Vision in die Praxis umzusetzen. Dafür bedarf es eines tiefgreifenden Kulturwandels in der gesamten Organisation, aber auch geeigneter Fortbildungsmaßnahmen.
  • 2. Eine 360°-Kunden-Sicht: Durch die Verschiebung der Kundenaktivitäten von der Filiale ins Digitale ist die Customer Experience wichtiger denn je. Laut Global Banking Benchmark Studie sehen jedoch noch weniger als ein Drittel der Befragten Daten und ihre Integration zu einer 360-Grad-Kundensicht als oberste Priorität. Hierfür gilt es mehr denn je, die immer noch bestehenden Silostrukturen organisatorisch wie technisch zu überwinden.
  • 3. Ein plattformbasierter Ansatz: Neben den Fintechs, die oft auch als Kooperationspartner auftreten, positionieren sich vor allem die Big Techs als potenzielle neue Wettbewerber der Banken. Für die etablierten Finanzinstitute ist es daher erfolgsentscheidend, den Übergang von einer vergleichsweise starren traditionellen Struktur hin zu einer flexiblen und skalierbaren Banking-Plattform zu vollziehen, die es erlaubt, im Ökosystem mit Partnerunternehmen zusammenzuarbeiten.
  • 4. Omnichannel-Services: Kunden erwarten, dass sie je nach Bedarf auf unterschiedlichen Kanälen mit ihrer Bank interagieren können, und dass dies nahtlos und ohne Informationsverzug oder -verlust funktioniert. Daher sollten vollständig integrierte Omnichannel-Services ein Kernbestandteil jeder Transformationsstrategie sein.
  • 5. Personalisierte Erlebnisse und Produkte:Bankerlebnisse und -produkte sollten die Bedürfnisse der Kunden antizipieren und entsprechend personalisiert sein. Sie sollten das Leben der Kunden einfacher machen und es ihnen im Idealfall ermöglichen, ihre Finanzen in einem einzigen Ökosystem zu verwalten.

Der Bankensektor mag bei der Anpassung an die neue Normalität etwas langsamer gewesen sein als andere Branchen. Wie die sprunghaft gestiegenen digitalen Angebote aber zeigen, machen auch die Finanzinstitute große Fortschritte im Hinblick auf Kundenerlebnis und operative Exzellenz. Fast alle Banken haben inzwischen in eine robuste mobile Plattform investiert, um zumindest Basisdienstleistungen wie Kontostandsabfragen und Online-Zahlungen auch über das Smartphone zu ermöglichen.

Dazu kommen komplexere Transaktionen wie Konsumentenkredite oder Baufinanzierung über digitale Kanäle, ohne dass dabei manuelle Eingriffe in der Bank erforderlich sind. Es bedarf außerdem einer belastbaren Daten- und API-Infrastruktur, die es Banken ermöglicht, Daten auf allen Kundenkanälen verfügbar zu machen und gleichzeitig eine direkte Verbindung zu anderen Ökosystem-Partnern herzustellen.

Banken haben jetzt die Chance, das Potenzial von Cloud-basierten Technologien und künstlicher Intelligenz voll auszuschöpfen, um maximalen Kundennutzen zu schaffen. Eine klare Strategie und kollektive Anstrengungen sind notwendig, um bestehende organisatorisch-strukturelle Hürden zu überwinden und diesen tiefgreifenden kulturellen Wandel zu vollziehen.


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