Manager aus Fachbereichen machen IT-Nachwuchskräften zunehmend Konkurrenz im Kampf um den CIO-Posten. [...]
In seiner mehr als 30-jährigen Laufbahn hat Richard Wiedenbeck alle wichtigen Funktionen in der Wirtschaft durchlaufen. Er war Program-Manager, leitete das Business Development, war Chef eines Beratungsunternehmens und verdiente sogar als professioneller Zauberer ein fast sechsstelliges Gehalt. Erst in den vergangenen zehn Jahren hat er seinen Lebenslauf mit einer Rolle als prominenter CIO abgerundet.
Wiedenbeck, derzeit Senior Vice President (SVP) und Chief Technology and Transformation Officer bei der Versicherungsgesellschaft Ameritas, berichtet, dass ihm all die Jahre in Geschäfts- und Beratungsfunktionen eine andere Perspektive und einen Vorsprung gegenüber traditionellen IT-Führungskräften verschafft haben. Und dies umso mehr, da Technologie heute so eng mit der Geschäftsstrategie verflochten ist. „Ich habe mir die Zähne an Rollen und Initiativen ausgebissen, die sich mit Technologie beschäftigen“, erinnert er sich. „Man setzt Technologie ein, um Geschäftsprobleme zu lösen oder Möglichkeiten zu eröffnen, und ich habe viel Zeit in diesem Bereich verbracht.“
High-Tech als Brücke in die Zukunft
Die Rolle des CIO und in jüngster Zeit auch die des CTO hat in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung gewonnen, weil sich Technologie als Schlüssel zur Umsetzung der digitalen Strategie erwiesen hat und in vielen Fällen zum Epizentrum des modernen Business geworden ist. Mit der Pandemie als Treiber der digitalen Transformation und der Verlagerung zu hybrider, dezentraler Arbeit ist die Relevanz des CIOs noch weiter gestiegen. Das hat zur Folge, dass von IT-Führungskräften heute „beidhändiges“ Agieren gefordert wird – sie müssen sich beim Erstellen einer Technologie-Roadmap ebenso wohlfühlen wie in der Strategiediskussion mit dem Top-Management.
Laut der IDG-Studie „State of the CIO 2022“ sehen 86 Prozent der Befragten die Rolle des CIO als stärker digital- und innovationsorientiert an, und 84 Prozent bezeichnen den CIO als kritischen „Changemaker“, der bei der Transformation von Unternehmen und Technologie die Führung übernimmt. Immerhin noch 79 Prozent der Befragten erwarten, dass der CIO eng mit dem CEO und dem Vorstand zusammenarbeitet, um in IT-Fragen zu unterstützen.
CIO wird zur Führungspersönlichkeit
Der seit Jahren zu beobachtende Wandel des CIO vom Back-Office-Manager und Auftragnehmer hin zur strategischen Führungspersönlichkeit hat inzwischen auch die Aufmerksamkeit einiger „normaler Manager“ auf sich gezogen. Weil die Technologie im Rampenlicht steht und die CIO-Position Geschäftssinn und Führungsqualitäten erfordert, ist die CIO-Laufbahn plötzlich ein gangbarer Weg für Führungskräfte auch außerhalb der traditionellen IT-Kreise. Untersuchungen von Gartner zeigen, dass sich der Anteil der CIOs, die keinen IT-Hintergrund haben, zwischen 2015 und 2018 mehr als verdreifacht hat. Etwas mehr als ein Viertel der IT-Führungskräfte trat demnach den Job ohne die übliche jahrelange IT-Erfahrung an.
Laut Martha Heller, CEO von Heller Search Associates, einem auf CIO– und IT-Führungspositionen spezialisierten Personalvermittlungsunternehmen, dringen zunehmend Fachleute mit Erfahrung in digitalen Innovationen, Führungskräfte mit GuV-Erfahrung und sogar Leiter von Softwareunternehmen in den CIO-Bereich ein und verschärfen somit den Wettbewerb um einflussreiche IT-Positionen. „Früher wurde die CIO-Rolle als operative Position definiert, die sich auf die Effizienz konzentrierte und dafür sorgte, dass das Geschäft schneller, billiger, besser und sicherer lief“, sagt Heller. „Heute geht es für IT-Leiter nicht mehr darum, ihren Bereich zu kontrollieren, sondern darum, das Business zu verändern und neue Perspektiven aufzuzeigen.“
Eine Frage der IT-Architektur
Obwohl die steigende Attraktivität der Position für ein breiteres potenzielles Führungspublikum gesorgt hat, ist Heller der Meinung, dass ein technologieferner CIO nur dann sinnvoll ist, wenn das Unternehmen bereits in eine moderne IT-Architektur investiert hat und mit Vollgas in das digitalisierte Business eingestiegen ist. „Derartige Kandidaten, vor allem diejenigen mit GuV-Erfahrung, sind vielleicht strategischer aufgestellt, können besser mit Finanzen umgehen und sprechen die Sprache der Vorstandsetage“, sagt sie, „aber das alles setzt voraus, dass ein Unternehmen eine agile, moderne Architektur hat“. Wer hingegen noch massiv in der Legacy-IT verhaftet sei, könne keinen CIO ohne tiefe Erfahrung in der Unternehmens-IT einsetzen.
Die Sprache des Business sprechen
Ameritas-Manager Wiedenbeck war in Schlüsselpositionen bei Unternehmen wie Boeing, Northrop Grumman und RR Donnelley tätig, wo er die Technologie aktiv zur Verbesserung der Geschäftsergebnisse einsetzte. Dies verschaffte ihm einen Vorteil, lange bevor derartige Kriterien für angehende CIOs ein Muss waren. In seinen ersten Tagen als IT-Führungskraft, so erinnert sich Wiedenbeck, war er von Anfang an glaubwürdig – im Gegensatz zu vielen seiner CIO-Kollegen, die hart daran arbeiten mussten, ihre geschäftliche Kompetenz unter Beweis zu stellen. „Die Technologie muss sich genauso um die Geschäftsergebnisse kümmern wie das Unternehmen, und mein Hintergrund gab mir diese Sichtweise sowie die Fähigkeit, ihre Sprache zu sprechen“, sagt Wiedenbeck. „Das Management war bereit, mir zuzuhören, und sie respektierten mich, weil ich ihre Welt verstand.“
IT – vom Hobby zum Beruf
Auch Vince Kellen, heute CIO der Universität von Kalifornien in San Diego, berichtet, dass seine frühzeitige Auseinandersetzung mit heute gängigen IT-Vorgehensweisen wie agilen Praktiken und sein in Jahren der Buchhaltung und des Marketings geschärftes finanzielles Bewusstsein ihm Vorteile für IT-Führungsaufgaben verschafft hätten. Kellen, der seine Karriere in verschiedenen Positionen in der Buchhaltung und im allgemeinen Management begann, hatte ein natürliches Interesse an Technologie, das er im Laufe der Jahre durch Seminare und Universitätsprogramme kultivierte – einschließlich des Erwerbs eines Abschlusses in Computerwissenschaften. Was als Hobby begann, entwickelte sich zu geschäftlichen Rollen, in denen er sich immer mehr an technologischen Aufgaben orientierte. „Egal, wo ich hinging, jeder brachte mir technologische Probleme, die ich lösen sollte“, sagt er.
Technologie als Mittel zum Zweck
Da Kellen im Finanz-Management tätig war, versuchte er immer, Technologie als Mittel zum Zweck einzusetzen – er erkannte Probleme, bei denen Technologie einen Unterschied machen konnte, und organisierte die Entwicklung einer Minimum Viable Solution aus der Notwendigkeit heraus. „Ich habe mit spitzem Bleistift gerechnet, damit ich meinen Chef nicht um Geld für IT bitten musste“, sagt er heute über seine CIO-Philosophie. Sein Ansatz: Hier ist diese Gelegenheit, hier ist das Potenzial für einen finanziellen Ertrag, und hier ist die Lösung, wie wir es praktisch ohne Investition erreichen können. „Ich weiß, wie wir alle wichtigen Ziele zu einem Bruchteil der Kosten meiner CIO-Peers erreichen können, weil ich ein Gespür für Business-Anforderungen habe.“
Was Kellen und andere Business-Führungskräfte ebenfalls auszeichnet, ist die angeborene Fähigkeit, die Sprache der Wirtschaft zu sprechen – was für viele CIOs auch heute immer noch eine Herausforderung darstellt. Mary Glide, derzeit Vice President of Technology bei Sequoia Capital, ist überzeugt, dass sie in diesem Bereich die Oberhand hat. Glide, die am College Rechnungswesen studierte und zunächst als Wirtschaftsprüferin arbeitete, fühlte sich auch zur Technologie hingezogen und übernahm in ihrer Anfangszeit Aufgaben wie die Einrichtung von Netzwerken und CRM-Systemen. Schließlich brachte sie sich selbst das Programmieren bei.
Software entwickeln – sich selbst entwickeln
Nach ein paar Jahren in der Buchhaltung wurde ihr klar, dass sie mehr formale IT-Verantwortung übernehmen wollte. Ihre Suche führte sie schließlich zu Sequoia, das zu dieser Zeit jemanden suchte, der seine Zeit zwischen Finanzen, IT und Marketing aufteilen konnte – ein Job-Szenario, das perfekt zu ihren Wünschen passte. Nach drei Jahren in der geteilten Rolle verbrachte Glide weitere 16 Jahre bei Sequoia, wo sie sich auf verschiedene Aspekte der Technologie konzentrierte. In ihrer jetzigen Funktion verwaltet sie alle globalen Arbeitsplatztechnologien und die globale Infrastruktur des Unternehmens, ist aber auch weiterhin in der Softwareentwicklung tätig. „Ich kann nicht aufhören, Dinge zu entwickeln, aber ich arbeite nicht mehr als Softwareentwicklerin“, fügt sie hinzu.
Effektive Kommunikation ist gefragt
Glide zufolge hat ihre frühe Arbeit in den Fachbereichen eine Grundlage für die effektive Kommunikation mit ihren Kollegen geschaffen, einschließlich der Unterstützung beim Verstehen von Problemen und der Entwicklung von Business Cases für Technologieprojekte. „Oftmals kann ich eine kreativere Lösung finden, als nur diese eine Anforderung umzusetzen“, erklärt sie. „Lösungen können zu technologieorientiert sein, und die Leute treten selten einen Schritt zurück, um zu erkennen, dass eigentlich eine Änderung der Prozesse erforderlich ist.“
IT-Führungskräfte, die sich im Kampf um eine CIO– oder CTO-Position von Business-Managern abheben wollen, müssen sich auf das konzentrieren, was sie die ganze Zeit tun sollten: ihr technologisches Fachwissen ausbauen und gleichzeitig in das Geschäft eintauchen. CIOs, die erfolgreich aus den Fachbereichen in die Position gewechselt sind, schlagen folgende Ansätze vor:
Machen Sie einen MBA. Es ist nicht jedermanns Sache, noch einmal die Schulbank zu drücken, aber Sie können einen Großteil der Ziele mit einem so genannten „Straßen-MBA“ erreichen. Hierbei übernehmen Sie Projekte, engagieren sich ehrenamtlich als Co-Sponsor und absolvieren sogar mehrere „Einsätze“ in verschiedenen Unternehmensbereichen wie Business Development, Fertigung oder dem Einkauf, um einen Einblick in die geschäftlichen Gepflogenheiten zu erhalten. „Steigen Sie bei jeder Gelegenheit tiefer in das Unternehmen ein und nehmen Sie Arbeit an“, rät Wiedenbeck.
Seien Sie ein Wertschöpfer. Zu lange haben CIOs ihre Rolle durch das Prisma der Kosteneinsparung und nicht der Wertschöpfung betrachtet. Das wird in der digitalen Welt nicht funktionieren, und es wird sicherlich keinen Vorteil bringen, wenn man es mit technikbegeisterten Geschäftsführern zu tun hat. CIOs sollten aus dem Blickwinkel eines internen Beraters agieren, der ständig alle Aspekte des Unternehmens im Auge hat und sich über die technologischen Entwicklungen auf dem Laufenden hält, um das Wachstum voranzutreiben. „Sie müssen immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten sein, denn nur so werden Sie für die neue Rolle des Chief Digital Officers oder jeden neuen CIO-Job gesucht“, sagt Heller.
Nehmen Sie moderne IT-Modelle an. Die Umgestaltung der IT-Architektur durch Cloud Computing, Microservices, APIs und agile Entwicklung ist nicht nur eine Initialzündung für das digitale Geschäft, sondern auch eine wichtige Voraussetzung für IT-Führungspositionen und Karrierechancen. „Sie müssen eine flexible, anpassungsfähige Architektur schaffen, die es Ihnen und Ihrem Unternehmen ermöglicht, aus dem operativen Dschungel herauszukommen“, fordert Heller. „Wenn Sie mit einer Projektpipeline belastet sind und unzählige Berichte liefern müssen, werden Sie nie die Freiheit haben, transformativ zu sein.“
Polieren Sie Ihre Kommunikationsfähigkeiten. CIOs müssen den so genannten „Elevator Pitch“ genauso gut beherrschen wie ihre Kollegen aus den Fachbereichen. Das bedeutet, dass sie Technologie in Begriffen formulieren müssen, die das Management ansprechen und die einfach zu verstehen sind. „CEOs haben so viel um die Ohren, dass sie keine fundierte Ausbildung in Technologie wollen“, sagt Wiedenbeck. „Sie müssen jedoch in geschäftlicher Hinsicht verstehen, inwiefern eine technologische Entscheidung geschäftlich sinnvoll ist. Man sollte daher den Wert einer guten PowerPoint-Präsentation nicht unterschätzen.“
Gleichzeitig dürfen IT-Manager den Wert eines soliden technologischen Fundaments nicht außer Acht lassen – etwas, das auch Business-Führungskräfte entwickeln müssen, wenn sie bei der Transformation des digitalen Geschäfts mitwirken wollen. „Man muss vom Kern der Technologie zum Kern des Geschäfts kommen, ohne den Kern der Technologie zurückzulassen“, rät Kellen. „Dieses Fachwissen ist für den CIO von unschätzbarem Wert, und diejenigen Manager ohne grundlegendes Verständnis von Technologie müssen in einem eingeschränkten Handlungsspielraum agieren.“
*Moritz Iversen ist freier Journalist in München.
**Beth Stackpole berichtet seit über 20 Jahren über die Schnittmenge von Wirtschafts- und Technologiethemen.
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