Künstliche Intelligenz und Automatisierung sind die modernsten Werkzeuge zur Sicherung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Frederic Cuny, Senior Director CTO DACH and Nordics bei Pegasystems, erklärt im Interview mit IT Welt.at, wie KI bei der Prozessautomatisierung hilft und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. [...]
Künstliche Intelligenz und Automatisierung werden oft als Schreckgespenst wahrgenommen. Kann KI die Menschen ersetzen oder warum ist die Angst davor so groß?
Mit jeder neuen Technologie verändert sich die Welt, die wir kennen – mal um ein kleinen, mal um einen großen Schritt, in jedem Fall jedoch in Richtung einer unbekannten Zukunft. Die Ungewissheit, die damit verbunden ist, macht vielen Menschen große Angst. Technologieskepsis ist deswegen nichts Neues, sondern ein jahrtausendealter Teil der Zivilisationsgeschichte. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist eine der Hauptsorgen der Verlust des Jobs. „Ihr müsst meinen armen Fuhrleuten schon noch erlauben, ihr Brot zu verdienen“, soll der römische Kaiser Vespasian seinen Ingenieuren beim Bau des Kolosseums gesagt haben, als er feststellte, es werden „moderne“ Maschinen eingesetzt. Eine Aussage, die ganz gut in unsere Zeit passt. Angst ist in dieser Situation jedoch ein falscher Ratgeber. Wir sind weit davon entfernt, dass KI eine wirkliche Selbsterkenntnis, Geistestheorie, Emotionalität, Empathie oder Moral besitzt. Sie ist derzeit primär ein Modell zur Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen. Mit GenAI lassen sich beispielsweise Muster erkennen und wiedergeben. Wie sich das in Zukunft darstellt, wissen wir aktuell nicht. Eine bessere Frage als „Wird uns KI ersetzen?“ ist jedoch die Frage „Wie reagieren wir auf diese Veränderung?“. Hier müssen wir ansetzen, um Menschen im Umgang mit dieser Technologie zu befähigen und fit für die Zukunft zu machen.
Wie kann die tägliche Arbeit durch den Einsatz von Maschinen, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz sinnvoller, effizienter und wertschöpfender gestaltet werden?
Wer mit einem Kleinkind in den Zoo geht, wird echte Überraschungsmomente erleben. Sie zeigen, zu welch beeindruckenden Transferleistungen das menschliche Gehirn auch ohne langes Training fähig ist. Ein dreijähriges Kind erkennt die echte Giraffe im Erstversuch, KI schafft das nicht – und das gelingt dem menschlichen Gehirn vielleicht nur aufgrund den wenigen Erfahrungswerten mit einem Quietschtier, das mit dem realen Lebewesen kaum etwas gemein hat. Genau hier liegt eine der Stärken von Menschen, aus wenigen Informationen einen sinnvollen Zusammenhang zu konstruieren. KI tickt anders. Sie kann den Überblick über enorme Datenmengen behalten und Wahrscheinlichkeiten statistisch korrekt ermitteln. Die Zusammenarbeit von Mensch und KI ist deshalb so zielführend, weil sich ihre Stärken gewinnbringend ergänzen. In der Arbeitswelt kann KI repetitive und eintönige Tätigkeiten beschleunigen oder sogar selbstständig durchführen. Dadurch erhalten Mitarbeitende den Freiraum für hochwertige Tätigkeiten wie die Strategieentwicklung, die Interaktion mit Stakeholdern und die Kundenbetreuung. Das ist genau der Win-Win-Gedanke, der uns positiv in die Zukunft blicken lassen sollte.
Inwiefern kann mehr Automatisierung und Autonomie Unternehmen helfen, mit den Herausforderungen der sich wandelnden Arbeitswelt umzugehen?
KI und Automatisierung sind Treiber dieses Wandels, zugleich können sie jedoch auch wertvolle Unterstützung bei seiner Bewältigung leisten. Entwicklungsprozesse verkürzen sich und Anwendungen werden grundsätzlich flexibler. In autonomen Unternehmen werden KI-Tools in den nächsten Jahren immer mehr Daten im Hintergrund analysieren, Entscheidungen treffen und zielgerichtete Empfehlungen aussprechen. Wie ein guter Ratgeber werden sie Mitarbeitende dabei unterstützen, die tägliche Flut an E-Mails, Chats, To-Dos, Reports und sonstige Anforderungen zu bewältigen, ohne in Daten zu ertrinken oder sich in Prozessen zu verlaufen. Ein Blick in die vergangenen 20 Jahre der Bürotätigkeit zeigt, welches riesige Potenzial hier in den kommenden Jahren erschlossen werden kann. Genau diese Schritte beschleunigen die Transformation in Unternehmen und werden Mitarbeitende bei dieser Veränderung auch mitnehmen – Stichwort Angst vor Veränderung. Wenn wir die richtigen Leitplanken setzen, werden Mitarbeitende zu Multiplikatoren des Wandels und tragen damit positiv zur Veränderung bei, anstatt die Entwicklung zu verzögern. Die Belohnung für diese Bereitschaft liegt dann vielfach in einem qualitativ schöneren Arbeitsumfeld. Das kann makroökonomisch dazu beitragen, die Probleme des Fachkräftemangels zu lösen. Es sollte uns jedoch nicht dazu verleiten, die gesellschaftlichen Herausforderungen dieses Wandels zu unterschätzen, denn sie werden umfassend und tiefgehend sein. Vor allem werden sie dem menschlichen Intellekt in Zukunft noch mehr abfordern – und darauf müssen politische Entscheider vorbereitet sein.
Was sind die Basiszutaten für eine effektive KI in einem Unternehmen?
Zu den Basiszutaten des KI-Einsatzes zählt vor allem der Zugang zu großen Mengen an Informationen. Idealerweise vernetzen Unternehmen dafür datenschutzkonform ihre eigenen Datenquellen wie beispielsweise Vertriebs- oder Kundendaten mit öffentlichen Daten und Bezahlservices von sogenannten Hyperscalern wie Google, Meta, Microsoft oder AWS. Darauf aufbauend sollten ein GenAI- oder prädiktiver AI-Service zum Einsatz kommen sowie Lösungen, die die IT-Sicherheit und den Datenschutz gewährleisten. Das gilt besonders für die Schnittstellen zwischen Datenbeständen, die ein erhöhtes Sicherheitsrisiko darstellen. Noch interessanter als die Zutaten ist jedoch die Frage, was damit erstellt werden soll und wie Entscheider dabei vorgehen. Um den Einsatz von KI im eigenen Unternehmen sinnvoll beurteilen zu können, muss man sich zuerst kritisch mit den Potenzialen und Grenzen von KI-Technologien auseinandersetzen. Kritisch heißt auch, nicht vor den unangenehmen Fragen halt zu machen. Ein effizienter KI-Einsatz ist kein Selbstzweck um der Technologie willen, sondern sollte dazu dienen, konkrete Verbesserungen zu ermöglichen. Im Kleinen, wie im Großen. Es darf auch keine unkontrollierte Selbstständigkeit der KI geben. Ihre Empfehlungen müssen stets nachvollziehbar sein und dürfen die freie Entscheidung der Mitarbeiten nicht einschränken.
In welchen Unternehmensbereichen macht es Sinn, auf KI zu setzen und welche Aufgaben kann sie bewältigen?
Es gibt eigentlich keine Unternehmensbereiche, in denen KI nicht sinnvoll eingesetzt werden kann. Überall müssen Entscheidungen auf Datengrundlage getroffen werden. Zugleich gibt es eine große Bandbreite an KI-Tools, die viele Aufgabenfelder abdecken können. Sei es bei der generativen Erstellung von Content, der automatisierten Abwicklung von Anfragen, dem Reporting oder komplexen Analysen. Einen besonders großen Mehrwert kann man aktuell vor allem im Marketing und Vertrieb, im Kundenservice, dem Berichtswesen und der Software-Entwicklung erreichen. Unerschlossenes Potenzial liegt sicherlich aber auch in Rechtsabteilungen, dem technischen Support oder der technischen Dokumentation. Abteilungsübergreifend kann GenAI zum Einsatz kommen, um Mitarbeitende mit spannenden Bildern und Videoinhalten weiterzubilden.
Welche Technologien spielen hierbei eine zentrale Rolle?
Durch die öffentliche Diskussion sind in den letzten Monaten vor allem die generativen KI-Modelle wie Large Language Models und Natural Language Processing in den Fokus gerückt. Sie kommen bei der Generierung von Audio-, Bild und Videoinhalten zum Einsatz. Eine wichtige Rolle werden in den kommenden Jahren auch Tools zur Entscheidungsfindung und Automatisierung spielen. Großes Potenzial liegt auch im Bereich der prädiktiven und adaptiven Analyse, beispielsweise auf Basis von neuronalen Netzen.
Warum ist es Ihrer Meinung nach notwendig, dass Unternehmen vermehrt KI zum Einsatz bringen?
Aus Wettbewerbsperspektive ist es ganz einfach alternativlos. Wer sich nicht rechtzeitig mit KI beschäftigt, wird in wenigen Jahren den Anschluss an die Mitbewerber verlieren. Und das betrifft keineswegs nur den IT-Sektor, sondern zieht sich durch alle Branchen und Wirtschaftsbereiche. Daneben sprechen natürlich auch die Vorteile für den Einsatz von KI. Unternehmen können flexibler und schneller auf Veränderungen reagieren.
Wo werden Unternehmen Ihrer Meinung nach Ende 2024 beim Einsatz von KI stehen? Wird man noch davon sprechen oder wird es bereits gang und gäbe sein?
Das Jahr 2024 ist kein relevanter Zeithorizont für die Evaluation von KI. Es gibt kein Zurück zu einer KI-freien Welt. Der Einsatz der KI wird sich auch nicht linear entwickeln. Es ist eine der Technologien, die menschliches Leben umfassend prägen wird. Sie entwickelt sich gerade rasend schnell. Täglich werden neue Einsatzmöglichkeiten identifiziert und diese Dynamik wird sich auch erstmal nicht abschwächen. Wir sollten deshalb mit Mut in die Zukunft blicken und versuchen sie aktiv zu gestalten. Und ein bisschen Demut dabei walten lassen, welche Prognosekraft wir für die Zukunft haben. Denken wir an den Film „Zurück in die Zukunft“ – mit fliegenden Autos, schwebenden Skateboards und schnürlosen Schuhen. An Smartphones oder KI hat in den 80er Jahren kaum jemand gedacht, doch heute sind genau sie die Parameter unseres Alltags.
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