„Fertigungsindustrie kämpft mit Datenproblemen, die Effizienz und Agilität hemmen“

Hersteller, die es versäumen, ihre Daten in Ordnung zu bringen, laufen Gefahr, gegenüber ihren Konkurrenten ins Hintertreffen zu geraten. Das zeigt ein aktueller Bericht von Hexagon. ITWELT hat bei Steffen Dilger, Vice President EMEA Central, Manufacturing Intelligence division bei Hexagon, nachgefragt. [...]

Steffen Dilger, Vice President EMEA Central, Manufacturing Intelligence division, Hexagon (c) Hexagon
Steffen Dilger, Vice President EMEA Central, Manufacturing Intelligence division, Hexagon (c) Hexagon

Welche Schlüsselerkenntnisse bietet der Bericht über die aktuelle Lage der Datenverwaltung in der Fertigungsindustrie?

Kurz zusammengefasst, erhalten wir durch den Hexagon-Bericht die Erkenntnis: 98 Prozent der Hersteller kämpfen mit Datenproblemen, die Effizienz und Agilität hemmen und Innovationszyklen und Markteinführungen verlangsamen. Wenn wir die Daten genauer anschauen, erkennen wir eine Fokussierung auf die Themen Datenqualität, Zusammenarbeit und Automatisierung.

Die Einführung moderner Technologien wie Künstlicher Intelligenz, Automatisierung und digitaler Zwillinge in der Fertigungsbranche stößt auf erhebliche Herausforderungen in Bezug auf Verfügbarkeit, Qualität und Aktualität von Daten. Diese Schwierigkeiten beeinträchtigen die Zusammenarbeit und haben negative Auswirkungen auf Produktivität, Flexibilität und die Schnelligkeit der Markteinführung. Zugleich verschärfen Faktoren wie der Mangel an qualifizierten Fachkräften sowie politische Trends diese Situation weiter.

Es ist von entscheidender Bedeutung, die richtigen Daten zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar zu haben. Allerdings scheitern 42 Prozent der Unternehmen daran, Daten effizient zwischen den Teams auszutauschen – aufgrund interner Abteilungssilos. Zudem haben 36 Prozent Schwierigkeiten, Zugang zu Daten zu erhalten, die außerhalb des eigenen Unternehmens entstehen. Diese Fakten verdeutlichen, dass Vorreiter in diesem Bereich nicht nur eine effektive Datenverwaltung benötigen, sondern auch eine organisatorische Transformation durchlaufen müssen. Sie verdeutlichen außerdem, dass über 80 Prozent der Unternehmen eine verbesserte interne Kommunikation als zentralen Baustein für eine schnellere Markteinführung, höhere Qualität und gesteigerte Nachhaltigkeit ansehen.

Fast 40 Prozent der Hersteller laufen Gefahr, bei der Automatisierung, hinter ihren Konkurrenten zurückzubleiben, die auf datengesteuerte Erhöhung der Produktivität und Automatisierung setzen. Im Gegensatz dazu sind sich 50 Prozent der Leader sicher, einen Wettbewerbsvorteil gewonnen zu haben, während dies nur für 36 Prozent der Nachzügler der Fall ist. Insbesondere im Bereich der Produktivität, Innovation und Empowerment der Mitarbeiter ist der Unterschied signifikant.

Was sind die Hauptgründe dafür, dass fast alle für den Bericht befragten Führungskräfte in der Fertigungsindustrie mit Konflikten in Bezug auf Daten konfrontiert sind?

Obwohl die Fertigungsindustrie einst federführend in der Automatisierung war, wurde sie mittlerweile von anderen Branchen (wie z.B. der Consumer Technology) im Bereich Digitalisierung überholt. Die Ursachen dafür sind vielschichtig, jedoch spielt die rasante Entwicklungsgeschwindigkeit neuer Technologien eine wichtige Rolle, die es unter Umständen schwierig macht, Schritt zu halten. Hinzu kommen organisatorische Aspekte.

Die Digitalisierung stellt nicht nur eine technologische Herausforderung dar, sondern erfordert auch einen Veränderungsprozess in der Organisationsstruktur der Unternehmen. Bei dieser Transformation ist es sehr wichtig, die Mitarbeiter mit auf die Reise zu nehmen – was dem gesamten Thema einen starken menschlichen Aspekt verleiht.

Weiterhin stellt die Reduzierung der Fertigungstiefe – also die Abhängigkeit von Zulieferer und Dienstleistungsunternehmen und der damit verbundene Zugang zu Daten, die außerhalb des Unternehmens generiert werden – eine weitere Herausforderung dar.

Wie haben sich die Datenprobleme auf die Zusammenarbeit und Produktivität von Herstellern ausgewirkt und welche Auswirkungen können Konflikte auf die Innovationsfähigkeit der Hersteller haben?

Grundsätzlich erlauben Daten bessere Entscheidungen zu einem früheren Zeitpunkt im Produktlebenszyklus. Dies treibt eine effizientere Wertschöpfung voran und ermöglicht es, Produkte zügiger auf den Markt zu bringen, weil sich Daten flexibel an wechselnden Marktbedingungen anpassen lassen.

Wir konnten beobachten, wie die Verbraucherelektronik-Branche den Wandel zu einer rasanten Produktentwicklung anführte. Nun hat BYD die Automobilindustrie erschüttert, indem es Tesla als Marktführer für Elektrofahrzeuge überholt hat. Dies wurde durch extrem kurze Innovationszyklen ermöglicht, da Kundenfeedback zeitnah in das Produkt einfließen konnte. Nicht zuletzt hat das hohe Vertikalisierungsniveau (also die Aufteilung in Teilsysteme) hier geholfen. Das unterstreicht die Notwendigkeit, Produktivität und Innovation in der gesamten Wertschöpfungskette der Fertigung zu transformieren und traditionelle organisatorische Silos zu eliminieren.

Die produzierende Industrie blickt einer Ära der Transformation entgegen, geprägt von der neuen Definition von Qualität, Agilität und Nachhaltigkeit, welche sowohl Herausforderungen als auch Chancen in der modernen Welt darstellen.

Welche Maßnahmen könnten Hersteller ergreifen, um ihre Datenprobleme zu lösen und wie könnte die Zusammenarbeit und Produktivität ihrer Teams verbessert werden?

Die Nachzügler sollten sowohl auf technologischem Feld als auch auf sozio-organisatorischem Feld investieren. Technologisch gesehen sind Lösungen gefordert, die die Zusammenarbeit verbessern und die Qualifikationslücke entschärfen, wie beispielsweise das Prinzip des „Vernetzten Arbeitnehmers“ oder „Connected Worker“. Allgemein kommen Automatisierungslösungen wie Workflow-Automatisierung, automatisierte Qualitätskontrolle und innovative Technologien wie prognostische Automation oder Generative Automation zum Einsatz, welche nebenbei auch die Problematik in der Personalbeschaffung („Staffing Gap“) reduzieren. Hinzu kommt die Einführung des Konzepts des digitalen Zwillings, um eine ultimative Verknüpfung der digitalen und realen Welt zu ermöglichen. Unsere Umfrage zeigt, dass die Vorreiter genau in diese Technologien weiter investieren möchten (zwischen 47 Prozent und 57 Prozent, je nach Technologie). Über die Hälfte der Unternehmen sehen zudem den größten Nutzen für ihren Produktlebenszyklus in der automatisierten Designoptimierung durch künstliche Intelligenz und Generatives Design, um so die menschliche Innovationskraft weiter zu stärken.

In diesem Zusammenhang spielt die Datenqualität eine zentrale Rolle. Es muss klar definiert werden, welche Daten für welchen Zweck genutzt werden. Welche sind relevant, welche nicht? Dafür muss an der Datenquelle selbst angesetzt werden: Wo kommen die Daten her und wie kann ihre Qualität verbessert werden? Diese Aspekte führen zur sozio-organisatorischen Komponente.

Die Digitalisierung muss auf Vorstandsebene oberste Priorität erhalten, um traditionelle Silos zu überwinden und die Organisation anzupassen. Es geht darum, durchgängige Prozesse sicherzustellen und so eine Zusammenarbeit sowohl innerhalb von Teams als auch zwischen ihnen zu ermöglichen. Darüber hinaus soll eine datengesteuerte, unternehmensweite Kollaboration gefördert werden. Hierfür ist eine vollständige Vernetzung entlang des Produkt- und Produktionslebenszyklus erforderlich, ebenso wie die Qualifizierung der Mitarbeiter. Technologien können dabei helfen, Wissens- und Personalbeschaffungslücken zu überbrücken, und so dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Welche Herausforderungen ergeben sich dabei?

Im Grunde stehen wir hier vor den typischen Herausforderungen, die ein Change-Management-Prozess mit sich bringt: Mitarbeitereinbindung, Führungskommunikation („Tone from the Top“), Umgang mit Widerstand, Schulungen und dergleichen. Aber auch die Technologie muss in das vorhandene Ökosystem einfügt werden. Hier sind Fragen zum Datenmanagement zu klären. Eine Fertigungsplattform wie beispielsweise Nexus von Hexagon kann hierbei unterstützen, da sie sowohl technologische als auch kollaborative Komponenten enthält. Zudem muss berücksichtigt werden, wie die Arbeitsauslastung der Mitarbeiter aussieht und wie viel Zeit für Veränderungen investiert werden kann.

Warum können knapp 40 Prozent der befragten Hersteller als „Nachzügler“ betrachtet werden und was zeichnet einen Marktführer aus? Welche Vorteile hat ein Marktführer?

Nachzügler haben bisher keine einzige Phase ihrer Fertigungsprozesse in hohem Maße oder vollständig automatisiert. Obwohl sie viele Daten sammeln, sind sie nicht in der Lage, daraus handlungsrelevante Informationen zu extrahieren. Dieser Prozess beginnt mit der Datenerhebung, geht über die Datenbereinigung und endet schließlich mit dem Gewinn von Erkenntnissen.

Im Gegensatz dazu hat rund ein Viertel der Hersteller, die als „Marktführer“ gelten, mindestens zwei Phasen ihrer Fertigungsprozesse weitgehend oder vollständig automatisiert. Darüber hinaus sind diese Unternehmen in der Lage, ihre Daten für frühzeitige und fundierte Entscheidungen zu nutzen. Diese Fähigkeit ermöglicht es ihnen, die veraltete Fokussierung auf Volumen und Wiederholung in der Produktion auf einen neuen Fokus zu legen, der Innovation und Agilität in den Mittelpunkt stellt. Dies hilft auch dabei, eine der größten Herausforderungen zu meistern: die operative Effizienz. Dies öffnet wiederum die Möglichkeit für höhere Margen oder niedrigere Produktkosten – je nachdem, wie das Marktumfeld beschaffen ist.

Die Umfrage hat ergeben, dass eine der wichtigsten Prioritäten der befragten Führungskräfte die Implementierung neuer Tools und Software ist, die die Zusammenarbeit der Teams erleichtern. Es gibt eine Vielzahl von Echtzeit-Technologien, die wir täglich nutzen. Zum Beispiel Sharepoint von Microsoft oder Google Docs sind Lösungen, die fast jeder kennt und von den Vorteilen profitiert hat.

Diese gängigen Tools erleichtern fast allen Fertigungsunternehmen zwar bereits die Arbeit, reichen aber nicht aus für eine umfängliche Digitalisierung und Automatisierung der Prozesse. Die Herausforderungen bei der Zusammenarbeit der Produktentwicklung und der Fertigungsabteilung sind sehr komplex, weil die unterschiedlichen Abteilungen sehr unterschiedliche Themen und Herausforderungen mit unterschiedlichen Anwendungen zu lösen haben. So sind häufig viele verschieden Software-Lösungen und Tools in einem Unternehmen im Einsatz. Fertigungsunternehmen brauchen deshalb eine digitale Plattform, die all diese Tools und Arbeitsprozesse vereint und es den Projektbeteiligten gestattet, die gemeinsame Nutzung von Daten durch unterschiedliche Konstruktions-, Simulations- und Fertigungsanwendungen in Echtzeit vorzunehmen. Hexagon beispielsweise entwickelt unter dem Namen Nexus eine solche Plattform. Im besten Fall können so traditionell nacheinander folgende Arbeitsabläufe und traditionell weitgehend getrennt arbeitende Abteilungen und sogar Drittunternehmen, wie zum Beispiel Zulieferer, simultan an einem gemeinsamen Workflow arbeiten und ein Produkt weiterentwickeln.

Warum können führende Unternehmen effektiver gegen Talentmangel vorgehen als Nachzügler?

Führende Unternehmen haben einen hohen Automatisierungsgrad und können so Qualifikationsdefizite und Personallücken besser ausgleichen. Dadurch werden repetitive Aufgaben durch Automatisierung erledigt und so werden mehr Rollen inhalts- und anspruchsvoller. Darüber hinaus spielen die bessere Positionierung als Vorreiter und der Bekanntheitsgrad eine Rolle, um überdurchschnittliche Talente anzuziehen.


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