Remote Work: Weltweit vernetzt und verteilt arbeiten

Im Interview verrät Iris-Sabine Bergmann, HR-Lead bei Nagarro, wie ihr Unternehmen dank weltweit vernetzter Teams die benötigten Skills verfügbar hält und wie KI in Personaldingen helfen kann. [...]

Iris-Sabine Bergmann, HR-Lead bei Nagarro: „Ohne Menschen geht es nicht, aber KI-Systeme sind eine hervorragende Ergänzung.“
Iris-Sabine Bergmann, HR-Lead bei Nagarro: „Ohne Menschen geht es nicht, aber KI-Systeme sind eine hervorragende Ergänzung.“ (c) Nagarro

Wie bekommen Sie in Zeiten des Fachkräftemangels Mitarbeiter mit den benötigten Skills? 

Den Fachkräftemangel gibt es definitiv. Wir haben als Nagarro natürlich auch damit zu kämpfen, weil wir Funktionen suchen, die es teilweise am Markt so noch gar nicht gibt. Für die noch relativ junge Funktion eines DevOps-Experten gibt es auch keine Fachleute mit langjähriger Erfahrung. Es ist wichtig, als Unternehmen flexibel zu sein und sich Alternativen zu suchen, wie interne Ausbildungsprogramme. Selten findet man die im Unternehmen gebrauchten Skills eins zu eins am Markt. Hier kann man entgegensteuern mit Ausbildungsprogrammen, mit Mentorship, mit Training-on-the-Job.

Gibt es Kooperationen mit (Fachhoch-)Schulen?

Wir setzen hauptsächlich auf unser internes Mitarbeiterprogramm. Kandidaten, die von bestehenden Kollegen empfohlen werden, haben bereits eine höhere Verbundenheit zum Unternehmen und wissen, wie wir funktionieren. Wir bauen darauf, dass die Mitarbeiter sich wohl bei uns fühlen und als Employer-Branding-Agents nach außen fungieren. Wenn wir Mitarbeiter einstellen, achten wir natürlich auch auf die Qualifikation, aber uns ist wichtig, dass die Leute vom Mindset her zu uns passen und dass sie sich mit unseren Werten identifizieren können – alles Fachliche versuchen wir bei uns im Haus auszubilden.

Was ist wichtiger: Technische Skills oder sog. behavioural Skills wie Teamfähigkeit, Zeitmanagement, Agilität?

Wir sind agil aufgestellt, d.h. das agile Mindset ist bei uns wichtig und wenn man da schon erste Vorerfahrungen mitbringt, dann hilft uns das schon sehr.

Remote Work ist jetzt in Corona-Zeiten das Gebot der Stunde. Homeoffice ist bei Nagarro bereits im Einsatz. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? Wie viel Vertrauen, wie viel Kontrolle ist notwendig?

Das Motto von Nagarro ist „To make distance irrelevant between intelligent people“, d.h. intelligente Menschen werden Vertrauen und Verständnis nutzen, um die Distanz untereinander im Umgang mit Kunden, Partnern und Anderen zu überbrücken – wo auch immer sie sich gerade in der Welt befinden mögen. Wir arbeiten bereits in sehr vielen Kundenprojekten im Hybrid-Shoring-Modell, d.h. wir stellen Teams über Länder hinweg zusammen und nutzen so die benötigten Qualifikationen, wo sie vorhanden sind und arbeiten dann remote miteinander – das ist bei uns gelebte Praxis und funktioniert sehr gut. 

Führung ist bei uns nicht auf Präsenz aufgehängt. Das hat uns natürlich auch in der Krise geholfen, weil wir strukturell bereits gut für das Homeoffice aufgestellt waren. Es geht bei uns nicht um Kontrolle, sondern wir wollen sogenannte Leuchtturmziele im Team erreichen, d.h. die Mitarbeiter bearbeiten die Themen innerhalb grob vorgegebener Rahmenbedingungen.

Wie wird sich die Arbeitsweise nach Corona weiterentwickeln? 

Die Krise hat gezeigt, dass der Weg ins Homeoffice oder zum Remote-arbeiten sehr praktikabel ist und definitiv auch zum Ergebnis führt. Wir haben unlängst eine globale Studie gemacht, mit dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter im Homeoffice sich entweder gleich gut oder sogar produktiver fühlen. Was noch ausständig ist, ist die langfristige Sicht der Kunden auf das Ergebnis. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Anzahl der Tage im Homeoffice noch ansteigt, sodass man nicht wegen eines Meetings ins Büro fährt. Zudem ist die Hemmschwelle vielleicht ein bisschen gesunken.

Im Homeoffice verschwimmt leicht die Grenze zwischen privat und beruflich. Wie stellen Sie sicher, dass die Leute nicht zu viel arbeiten und „ausbrennen“?

Das ist ein wichtiger Punkt, der uns bereits in den ersten zwei Wochen der Krise aufgefallen ist. Wir haben uns die Zeitaufzeichnungen angesehen, um in Zusammenarbeit mit unseren „People-Guides“ herauszufinden, welche Mitarbeiterinnen, welche Mitarbeiter Burnout-gefährdet werden könnten. Die People-Guides sind bei uns die erste Ansprechperson für die fachliche, persönliche und einkommensrelevante Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Guides wurden daraufhin angewiesen, auf die Einhaltung der Arbeitszeit der Guidees zu achten, um vorzubeugen. 

Gab es konkrete Fälle von Burnout?

Nein, es hat keine Fälle gegeben, wo Maßnahmen gesetzt werden hätten müssen. Aber wir wollten unseren Mitarbeitern vermitteln, dass wir auf sie schauen und von ihnen nicht 24 Stunden Erreichbarkeit oder Einsatz verlangen. Unsere Unternehmenswerte sind CARING, wobei jeder Buchstabe für einen weiteren Unternehmenswert steht und dazu gehört natürlich auch, dass wir uns um die Mitarbeiter und deren Erholungszeiten kümmern.

Im Zuge der digitalen Transformation wird jeder Bereich in einem Unternehmen digitalisiert, aber oft wehrt sich just die HR-Abteilung gegen Automatisierung, z.B. beim Einsatz von KI im HR-Bereich. Sie auch? 

Die Krise hat meiner Meinung nach gezeigt, dass Menschen und Maschinen sich hervorragend ergänzen. Denken wir an Home-Schooling: das wäre ohne Digitalisierung nicht umsetzbar gewesen. Es geht nicht darum, sich vor der Automatisierung zu fürchten, sondern die Synergie-Effekte bestmöglich zu nutzen. Wir im Unternehmen haben z.B. einen Chatbot namens Ginger in Verwendung, das ist das freundliche Gesicht des Unternehmens und unser CEO Manas Fuloria beschreibt ihn als intelligentes Business-Operating-System, der – richtig eingesetzt – eine Erleichterung bringt und die Mitarbeiter-, aber auch die Kundenbindung fördern kann. Man kann Push-Notifikationen an Mitarbeiter schicken, man kann tägliche, wöchentliche bzw. regelmäßige Erinnerungen ausschicken, man kann globale Company-Infos durchschicken und er hilft auch bei der Kulturbildung.  Wir sind ja als Unternehmen auf der ganzen Welt verstreut, da ist es extrem wichtig, dass alle am gleichen Strang ziehen und diese Akzente kann man sehr gut über diesen Chatbot steuern und Informationen teilen. Wir nutzen den Chatbot aber auch, um Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, Informationen einzuholen, z.B. für eine Dienstreise. Wir sind nach wie vor dabei, Ginger mit Informationen zu füttern – je mehr Informationen dieses Tool hat, desto nützlicher ist es für die Mitarbeiter und umso eher wird es genutzt. Zudem denkt man als Mitarbeiter eher daran, das Tool vielleicht selbst mit Information zu füttern, wenn es in der Arbeit nutzen kann.

Ist dieser Chatbot ein Produkt, dass Sie an andere Unternehmen verkaufen?

Ja, tun wir.

Verwenden Sie KI, um eine Vorauswahl von künftigen Mitarbeitern zu treffen?

Nicht nach extern, aber zu Nagarros way of working gehört natürlich auch die Prozessstandardisierung. Dabei ist es wichtig, die Skills der bestehenden Mitarbeiter regelmäßig abzufragen bzw. zu wissen, wer hat welche Skills für die bestmögliche Projektzusammensetzung. Hier nutzen wir entsprechende Tools, so dass wir sofort wissen, wo wir die benötigten Skills im Unternehmen haben. So werden die Teams zusammengestellt. Dahinter liegt natürlich der Entwicklungspfad eines Mitarbeiters, d.h. ich weiß per Knopfdruck, wo meine Mitarbeiter stehen, was sie noch brauchen, um in das nächste Level zu kommen. Daraus purzeln die benötigten Informationen: Was haben wir nicht an bestehenden Mitarbeitern und was muss schlussendlich am externen Arbeitsmarkt rekrutiert werden. Dafür verwenden wir Tools. Für die Evaluierung der Skills der Bewerber verwenden wir es derzeit noch nicht.

Kann man mit einer KI neue Geschäftsfelder entdecken, also über den Tellerrand hinausschauen, wenn die benötigten Informationen dazu noch gar nicht in der KI enthalten sind. Kann man das automatisieren oder brauchen wir hier den Menschen?

Definitiv brauchen wir den Menschen, Mensch und Maschine müssen sich ergänzen. Gegenwärtig ist es jedenfalls nicht so, dass die Tools so selbstständig denken, dass das Out-of-the-box-Denken der Menschen nicht mehr notwendig ist. Das funktioniert noch nicht. Je mehr Menschen die Tools – intelligent – verwenden, umso besser kann das Ergebnis sein. Das ist ja auch das Schöne und zeigt, dass der Mensch nicht überflüssig sein wird, weil es ihn eben braucht, um die Maschinen zu füttern, zu bespielen und letztendlich dann auch mit dem Ergebnis weiterarbeiten. 


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