Karrierewege eines CIO: Immer wieder raus aus der Komfortzone

Von den Stadtwerken Bremen zu einem amerikanischen Konzern, später zu einem japanischen. Vom Anbieter zum Anwender. CIO Percy Hamer wandert zwischen den Welten. Ein Karriereweg für die Zukunft der Plattform-Industrie und Eco-Systeme. [...]

Gerade mal 60 Kilometer sind es von Bremen bis zur Nordsee, und von dort geht es per Schiff in die weite Welt. Als echter Bremer hat Percy Hamer, 1969 in der Hansestadt geboren, in seinem beruflichen Leben an den verschiedensten Stationen angedockt. Seit März 2013 ist er CIO Europe und General Manager bei Konica Minolta Business Solutions Europe. Er hat auch schon für ein amerikanisches Unternehmen gearbeitet, auch kennt er die Anwenderseite ebenso wie die des Anbieters. „Ich bin meistens mit einer kleinen Träne im Auge gegangen“, sagt der 48-Jährige im Gespräch mit dem CIO-Magazin. „Aber das Neue war immer stärker!“
Hamer hat 1988 sein Diplom-Informatik-Studium an der Universität Bremen angefangen und sich, ganz der unabhängige Hanseat, trotz Rechts auf Bafög selbst finanziert. Die Disziplin Informatik war seinerzeit noch relativ neu. E-Mail galt als bahnbrechend. Gefragt war der IT-Nachwuchs auch damals, und so arbeitete Hamer zwei Jahre lang als „Working Student“ für die Deutsche Airbus und weitere zwei Jahre als Software-Entwickler für Wangnick Consulting. Warum der Verzicht auf Bafög? „Das ist eine Typfrage“, ist Hamer überzeugt. Er sagt aber auch: „Hätte ich mein Studium mit Paketeschleppen verdienen müssen, hätte ich das nicht gemacht!“
„Wenn jemand das Unternehmen verlassen will, blockiere ich ihn nicht“
Im August 1993, mit dem Diplom in der Tasche, heuerte er als IT Analyst und Project Manager bei den Stadtwerken Bremen an. Fast fünf Jahre blieb er dort. Fünf Jahre, in denen er sich weiterentwickelt hat – nicht aber seine Job-Perspektive. „Mein damaliger Chef war ein Typ wie ich“, erinnert sich Hamer. „Er hat verstanden, dass er mir die Position, die ich wollte, nicht bieten konnte.“ Ein solches Verhalten ist für Hamer ein guter Führungswert. Mittlerweile ist er selbst Vorgesetzter und sagt: „Wenn jemand das Unternehmen verlassen will, blockiere ich ihn nicht. Aber ich will, dass über die Gründe gesprochen wird. Ich will seine Gründe verstehen können.“
Sein eigener Wechsel zu CA Computer Associates im Juli 1998 war für ihn nur logisch. CA kam damals mit einem neuen Produkt auf den Markt, die Bremer Stadtwerken waren Referenzkunde. Von der lokalen Größe zum amerikanischen Unternehmen, dieser „erste Schritt raus aus der Komfortzone war der schwierigste“, blickt Hamer zurück. Die Firmenkultur war eine ganz andere, die Arbeit auf Anbieterseite auch. Hamer fungierte als National Manager Professional Services. Viel Verantwortung für jährlich acht Millionen Euro Consulting Cost und 16 Millionen Euro Consulting Revenue. Und viele Reisen.
Als die Tochter drei war, wollte Hamer nicht mehr so viel weg sein
Vor allem letzteres ließ ihn im Oktober 2003 zu CTS Eventim wechseln, dem Marktführer für Ticketing. „Meine Tochter war drei Jahre alt“, erzählt Hamer, „ich wollte nicht mehr so viel weg sein.“ Das großvolumige Endverbrauchergeschäft von Eventim lief zu dieser Zeit auf vollen Touren, denn der FIFA Confederations Cup 2005 und der FIFA Worldcup 2006 standen an.
Der Ticketverkauf musste laufen, sowohl vor Ort als auch weltweit. RFID, elektronische Zugangskontrollen – für die Eventim-Mannschaft war es sportlich. Lang im Spiel blieb kaum einer. Hamer schmunzelt: „Ich blieb drei Jahre und war damit der längstgediente IT-Führungsmanager.“ Als das letzte Tor gefallen war, wechselte er im Herbst 2006 zu Logica Deutschland und damit wieder auf die Anbieterseite. Bremen ist klein, er hatte mitbekommen, was sich bei Logica tat.
Von der Heimat aus ging der Blick nach Offshore, Hamer baute das Outsourcing auf. Sechseinhalb Jahre später kam der Anstoß zum Wechsel durch einen Headhunter, und so ging Hamer im März 2013 zu seinem jetzigen Arbeitgeber Konica Minolta Business Solutions Europe. Die japanische Unternehmenskultur beschreibt er als „sehr föderativ“. Er bekomme den nötigen Freiraum, um die Unternehmens-IT neu auszurichten.
Unabhängig von Hamers Einzelbeispiel beobachtet Alexander Wink, Senior Partner beim Headhunter Korn Ferry, ein wachsendes Interesse an Top-Managern, die in verschiedenen Company Settings gearbeitet und verschiedene Kulturen – und damit auch unterschiedliche Business-Modelle – kennengelernt haben. Unternehmen trauen ihnen Skills in Sachen Change Management zu.
Außerdem verfügen solche Kandidaten oft über ein großes Netzwerk. Hintergrund für dieses Interesse ist für Wink die Entwicklung hin zur Plattform-Industrie. Das einzelne Unternehmen versteht sich zunehmend als Teil eines Eco-Systems. „Vielfältige Erfahrung zahlt sich für Executives aus“, sagt Wink. Das spiegele sich mittlerweile am Markt wider.
Wink rät Top Talenten, jeden Job bereits mit einer Exit-Strategie anzutreten. „Nicht in dem Sinne, dass man das Unternehmen gleich wieder verlassen will“, stellt er klar. „Sondern dahingehend, dass man sich frühzeitig überlegt, wo man hin möchte.“ Dazu gehöre auch, ein bis zwei potenzielle Nachfolger zu entwickeln.
Dass mancher aber den Wechsel scheut und lieber in seiner Komfortzone verharrt, hält Wink für menschlich – und überwindbar. Für solche Fälle hat er ein paar ganz handfeste Tipps parat. „Wenn man sich jeden Morgen oder jeden Abend 30 Minuten lang hinsetzt und aufschreibt, was man für messbare Ergebnisse erzielt hat, steigt das Selbstvertrauen“, sagt er. Wer in einem neuen Unternehmen für eine Position vorspricht, sollte mehr als nur zwei Gespräche führen. Der Bewerber muss einschätzen können, wie das Unternehmen den Onboarding-Prozess gestaltet und welchen Plan es für ihn hat.
Hamer kann heute die Spielräume auf beiden Seiten einschätzen
Percy Hamer jedenfalls weiß im Rückblick auf seinen Werdegang heute seine Vogelperspektive zu schätzen. Es sei gut, „in unterschiedlichen Branchen und Kundensituationen tätig gewesen zu sein, um auf Basis der Erfahrungen auch komplexe und fachlich grenzüberschreitende Themen optimal angehen zu können“. Den größten Vorteil sieht er darin, dass er „ein ganzheitliches Bild darüber entwickeln kann, welche Leistungen ein Kunde für seine kritischen Geschäftsthemen benötigt, und welchen Anteil davon ein Lieferant unter reellen Bedingungen liefern kann.“ Er könne die Spielräume auf beiden Seiten erkennen und verstehen.
Hamer glaubt, dass Karrieren wie seine häufiger werden. „Grundsätzlich glaube ich, dass in jedem Unternehmen der Mix zwischen Beständigem und Neuem entscheidend ist. Die Entwicklungen in Markt und Technologie sind heute so schnell und agil, dass neue Ideen entscheidende Vorteile bringen, da können Ansätze aus anderen Blickrichtungen sehr wertvoll sein.“
Tiefe kann man binnen drei bis fünf Jahren nicht aufbauen
Im Vergleich mit CIOs, die sich jahrzehntelang in eine Branche hineingedacht und eingelebt haben, sagt Percy Hamer aber auch: „Ein Nachteil ist vielleicht, dass in einer spezifischen Branche, einem Kunden- oder Beratungsumfeld eine längerfristige Erfahrung in bestimmten Situationen sehr hilfreich sein kann.“ Eine solche Tiefe könne niemand binnen drei bis fünf Jahren aufbauen.
Korn Ferry-Manager Alexander Wink betont, dass die klassische Konzernkarriere ihrerseits Pluspunkte hat – gerade im Hinblick auf eine weitere aktuelle Entwicklung, nämlich den wachsenden Einfluss der Chinesen. „Die holen gern Experten mit langjähriger Branchenerfahrung als Beiräte ins Board“, beobachtet er. Dass auch Executives mit langjähriger Firmenzugehörigkeit Agilität und Change-Fähigkeiten brauchen, zeigten Beispiele wie die Deutsche Telekom, die sich immer wieder stark verändert hat. Letztlich komme es vor allem auf eines an: den eigenen Willen, im Job zu wachsen.
* Christiane Pütter schreibt für CIO und Computerwoche.

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