Langfristige Sourcing-Verträge passen nicht in die schnelle digitalisierte Welt

Schnell, flexibel, aber gleichzeitig sicher und stabil sollen sie sein, die Sourcing-Services im digitalen Zeitalter. Das fordert IT-Service-Provider genauso heraus wie ihre Kunden, die angesichts eines immer größeren Angebots und einer wachsenden Zahl von Dienstleistern verunsichert sind. [...]

Langfristige Sourcing-Verträge mit Service-Level-Agreements (SLAs) und Pflichtenheften, die über Jahre gültig sind und im Laufe der Zeit nur geringfügig angepasst werden, passen immer weniger in die Zeit. Der hohe Digitalisierungsdruck, unter dem die Unternehmen stehen, gibt auch im Sourcing-Umfeld einen kürzeren Takt vor – so ein Ergebnis eines Sourcing-Gipfels, zu dem die COMPUTERWOCHE die wichtigsten Sourcing-Dienstleister geladen hatte.
„Das Problem ist, dass ich heute einen Sourcing-Vertrag abschließe und noch nicht weiß, welche Services ich genau in einem oder zwei Jahren brauchen werde. Der Kunde braucht darum dringend Flexibilität“, beobachtet Jörg Hild, Partner bei PWC. Er berät CIOs in Sachen Sourcing. Die Dynamik des Markts sei für viele eine Herausforderung, pflichtet Frank Schwarz, Vice President bei Atos, bei: „Da die Laufzeiten der Sourcing-Verträge immer kürzer werden, hat sich die Zahl der IT-Beratungsunternehmen und Sourcing-Dienstleister stark erhöht. In den Unternehmen gibt es zum Teil eine IT der zwei Geschwindigkeiten. Parallel zu den Treibern in der Digitalisierung wird die Bestands-IT im gewohnten Tempo weitergeführt und nach und nach in die Cloud ausgelagert. Das Ganze muss orchestriert werden.“
Viele Unternehmen haben heute mehrere hundert verschiedene Cloud-Lösungen im Einsatz, weiß Microsoft-Manager Christian Gfüllner. „Mit dieser Dynamik und Geschwindigkeit kommen die IT-Abteilungen oft nicht mehr mit. Darum ist es ein Ziel, die Digitalisierung als Corporate-Governance-Thema, aber auch als Angebot für den Fachbereich in der zentralen IT zu platzieren.“
Überangebot verunsichert Einkauf
Mit der Situation sind viele Unternehmen überfordert. Insbesondere die Einkaufsabteilungen, die sich einem Überangebot an Services gegenübersehen, sind verunsichert. Laut Capgemini-Manager Jochen Schiml ist das ein Problem: „Mit der Digitalisierung wird der IT-Einkauf absolut strategisch. Es besteht ein hoher Beratungsbedarf, da die Sourcing-Verträge immer kürzer und inhaltlich unspezifischer werden.“ Musste früher ein umfangreiches Change-Management-Vorhaben angestoßen werden, um Pflichtenhefte oder SLAs zu ändern, sei ein solcher Prozess für die Verträge von morgen zu starr. Nur wenn nicht alles starr festgezurrt sei, könnten Unternehmen auf sich rasch ändernde Marktbedingungen reagieren.
„Viele Unternehmen haben bislang keine Digitalisierungsstrategie“, stellt Lars Göbel, Strategiechef beim Darmstädter IT-Service-Provider DARZ, fest. „Sie sind noch dabei, sich Informationen als Entscheidungsgrundlage zu beschaffen. Wenn ich mich entscheiden muss, was ich aus dem großen Sourcing-Strauß nehme, muss ich erst viel über mein Unternehmen und seine Strukturen und Prozesse wissen.“ Bei den Kunden findet Göbel zwei grundverschiedene Situationen vor: „Entweder kann die interne IT die Anforderungen nach Schnelligkeit und Flexibilität nicht erfüllen, oder die Unternehmen haben ihre IT-Abteilungen selbst in Richtung Service-Provider entwickelt und stellen so Software oder Hardware zur Verfügung. Sie müssen dann aber auch Anforderungen wie einem Rund-um-die-Uhr-Service und Multi-Mandanten-Fähigkeit genügen, was sich wiederum auf die IT-Infrastruktur auswirkt.“
Auch Simon Gravel, CEO des Sourcing-Portals Skillplanet, kennt die vertrackte Situation vieler Einkaufsabteilungen: „Gibt es keine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie mit gemeinsamen Zielen, ist nicht gewährleistet, dass die eingekauften Services tatsächlich Einzug in den Unternehmensalltag finden. Hinzu kommt ein großes, intransparentes Angebot an Services, hinter denen oft nur aktuelle Buzzwords, aber keine echten Digitalisierungslösungen stecken.“ Unüberschaubar droht auch die Zahl der Dienstleister zu werden, wie Thomas Dengler von der IT-Beratung Noventum warnt: „Wenn der Kunde mit vielen kleinen Dienstleistern zusammenarbeitet, hat er vielleicht einige Vorteile, aber auch ein Governance-Problem. Ganz neue Herausforderungen stellen sich, wenn diese Dienstleister dann im Zuge des Cloud Computing immer häufiger fusionieren.“ Für Koenraad Demeulemeester, Sales- und ­Services-Chef bei Fujitsu, steht fest: „Auch wir IT-Service-Provider müssen flexibler und schneller werden. Das heißt, schneller zu neuen Projekten kommen und kleine digitale Piloten anstoßen, die gemeinsam mit Kunden, externen Beratern und Providern in kreativen Zellen entwickelt werden.“
Kann Sourcing Innovation bieten?
Die Kunden erwarten von ihren Dienstleistern zunehmend auch Innovation, sagte Capgemini-Mann Schiml, warf aber die Frage in den Raum: Kann Sourcing Innovation erzeugen? Für PwC-Manager Hild passen zumindest kosteninduziertes Sourcing und Innovation nicht zusammen: „Da viele Sourcing-Verträge von Kosteneinsparung getrieben sind, könnensie einem Innovationsanspruch nicht gerecht werden. Innovation braucht Zeit und Mittel.“
Dengler berät vor allem Mittelständler in Sachen Sourcing und Digitalisierung. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Innovation ohne die Einbindung der IT nicht funktioniert: „Entdecken die Fachbereiche ein attraktives Tool, gehört die IT mit an den Tisch. Sonst scheitert die Digitalisierung am Ende an der Integration in die bestehenden Systeme und Prozesse.“ Genauso wichtig sei das Commitment der Unternehmensführung, so Dengler weiter: „Die Geschäftsleitung muss die Digitalisierung zu ihrem eigenen Anliegen machen und das Geld in die Hand nehmen.“
Kostengünstiger IT-Betrieb als Ziel
Für Microsoft-Mann Gfüllner sind auch die Anwender früh einzubeziehen: „Change und Adoption sind bei Cloud Computing zentrale Themen: Wie bekomme ich die IT-Innovation in die Arbeitsumgebung und die Unternehmensprozesse? Die Zeiten sind vorbei, in denen eine zentrale IT einen Arbeitsplatz designen konnte, ohne die Mitarbeiter zu fragen, was die konkreten Anforderungen an modernes Arbeiten und unternehmensübergreifende Zusammenarbeit sind. Die besten Services helfen nichts, wenn sie nicht genutzt werden.“ Er rät, Collaboration und Social Tools „mit einer gewissen Sinnhaftigkeit“ zu hinterlegen: „Man sollte sich bei jedem Tool fragen, wo sein Einsatz Sinn gibt, um nicht ein babylonisches Sprachengewirr zu erzeugen.“ Zudem sollte man Experten in die Abteilungen setzen, die ihr Wissen an ihre Kollegen weitergeben.
Ob es der CIO oder der CDO ist, der die Innovation vorantreiben sollte, blieb in der Diskussion offen. Fujitsu-Manager Demeulemeester hat beobachtet, dass „CIOs und CDOs oft die gleichen Profile haben. Für viele Unternehmen ist es wichtig, einen CDO von außen zu holen.“ Und Capgemini-Mann Schiml erinnert das Ringen um die Vorherrschaft an ein Tanzpaar: „CIO und CDO müssen auch miteinander tanzen. Wer da wen führt, ist noch nicht ausgemacht.“
Innovation und Sourcing gehören für Atos-Manager Schwarz zusammen: „Zwar lagern Unternehmen alles aus, was nicht zum Kerngeschäft gehört. Ziel ist es, den Betrieb kostengünstig zu fahren, während der digitale Wandel als Investment in die Zukunft des Unternehmens gesehen wird.“ Allerdings bleibt die Stabilität der Bestands-IT ein zentraler Faktor, so Schwarz weiter: „So braucht auch ein Auto, das autonom fährt, weiter die stabile und gut ausgebaute Straße, um vorwärtszukommen.“ Für PwC-Manager Hild stellen „Kostenersparnis, Sicherheit, Stabilität, aber auch zunehmend Agilität in bestimmten Bereichen die wichtigsten Anforderungen der Kunden an ihren Sourcing-Dienstleister dar“. Darz-Mann Göbel weist darauf hin, dass „mehr Agilität, mehr Skalierbarkeit und mehr Flexibilität mehr Komplexität mit sich bringen“. Das muss man als Dienstleister erst einmal bewältigen.
Mit neuen Tools ist es nicht getan
Skillplanet-Chef Gravel stellt fest, dass etliche Unternehmenschefs noch nicht begreifen, dass Digitalisierung mehr als den Einsatz neuer Tools bedeutet und sich auf die Geschäftsprozesse auswirkt. Als Beispiel nennt er die Zeitarbeit, die hierzulande sehr dezentral aufgestellt ist und durch digitale Angebote und Marktplätze unter Druck gerät: „Mit einer neuen Software ist es nicht getan. Diese muss auch im Unternehmensalltag integriert werden, was bei effizienter Nutzung wiederum Veränderungen der Unternehmensinfrastruktur, zum Beispiel bei Personal und Zweigstellen, mit sich zieht.“
Laut Hild gelingt Innovation dann, wenn Nähe zwischen CIO und Business gegeben ist:“Das Problem ist oft der Komplett-Dienstleister, der als Monolith zu wenig flexibel ist.“ Dem hält Fujitsu-Mann Demeulemeester entgegen: „Sobald ein Mittelständler international unterwegs ist, muss er auf einen international aufgestellten Dienstleister zurückgreifen.“
Sourcing Day für CIOs und Einkäufer
Wie können IT-Manager und Einkäufer erfolgreiche Sourcing-Strategien entwickeln und gemeinsam mit Partnern ausgestalten? Um diese Frage dreht sich der fünfte Sourcing Day am 31. Mai in Köln. Neben Vorträgen finden zahlreiche Workshops statt, in denen sich die Teilnehmer mit Kollegen über ihre IT-Strategien austauschen können. Auf der Agenda stehen klassische Themen wie die Steuerung von Multi-Vendor-Konstellationen oder das Kosten-Management im IT-Outsourcing. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, wie Unternehmen mit Startups zusammenarbeiten oder eigene Digital Labs aufbauen können. Mehr Informationen gibt es unter www.sourcing-day.de.
* Alexandra Mesmer ist Redakteurin bei der Computerwoche.

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