Die Mitarbeiterfluktuation gering zu halten, ist für Unternehmen erfolgskritisch – zumal der IT-Arbeitsmarkt leergefegt ist. Lesen Sie, wie Sie die Mitarbeiterbindung intensivieren. [...]
Immer mehr Betriebe entwickeln Richtlinien und Programme mit dem Ziel, die Fluktuation unter den technisch orientierten Angestellten zu verringern. Wer dort einen guten Job macht, verbessert nicht nur die Mitarbeiterbindung, sondern leistet auch einen wertvollen Beitrag dafür, die angepeilten Unternehmensziele und -ergebnisse zu erreichen.
Klingt logisch – und dennoch haben viele Unternehmen noch keine Strategie gegen das Abwandern von Leistungsträgern. Immerhin haben einige CIOs zusammen mit ihren Personalverantwortlichen begonnen, nicht nur den Recruiting-Prozess, sondern auch die Mitarbeiterbindung zu professionalisieren. Wie Grayson Williams, Vice President für Enterprise-Anwendungen bei der IBM-Tochter Red Hat ausführt, lassen sich Abwerbungen nicht immer verhindern. Es gehe aber darum, gegenzusteuern und aufzupassen, dass es zu keinen größeren Wellen kommt.
Natürlich sind wettbewerbsfähige Gehälter wichtig, aber ebenso kommt es auf flexible Arbeitsmöglichkeiten sowie eine gute Unternehmens- und Wertekultur an, die auch gelebt werden muss. Mit dem Wechsel zu Remote-Work-Modellen hat sich laut Williams etwas Entscheidendes verändert: Tech-Fachkräfte müssen nicht mehr umziehen, um einen neuen Job anzutreten. Theoretisch können sie ihre Arbeitskraft auf einem globalen Markt anbieten. Da fällt es vielen Betrieben nicht leicht zu argumentieren, warum es sich lohnt, bei ihnen zu bleiben.
Im Folgenden stellen IT-Führungskräfte folgende zehn Ideen für eine bessere Mitarbeiterbindung vor, die Unternehmen im Kampf um Talente einen Vorteil verschaffen können.
- Beachten Sie, dass Mitarbeiterbindung schon beim Recruiting beginnt.
- Identifizieren Sie Kandidaten, die Ihnen längerfristig treu sein werden.
- Suchen Sie Talente, die ihre Unternehmenswerte teilen.
- Bieten Sie Weiterbildungs- und klare Aufstiegsmöglichkeiten.
- Ermöglichen Sie Remote Work.
- Vergüten Sie marktkonform und belohnen Sie Treue.
- Sorgen Sie aufrichtig für Ihre Mitarbeiter.
- Priorisieren Sie das Mitarbeiter-Engagement.
- Nutzen Sie Daten (und KI) für Ihre Arbeit.
- Lassen Sie sich von Fluktuation nicht überraschen.
1. Beachten Sie, dass Mitarbeiterbindung schon beim Recruiting beginnt
„Mitarbeiterbindung beginnt schon im Recruiting-Prozess: von der Prüfung der Bewerberinnen und Bewerber bis hin zur Auswahl der Gesprächspartner aus dem eigenen Team“, sagt Dan Pickett, ehemaliger CEO von Nfrastructure. „Es fängt schon damit an, dass man sich überlegt, welche Aspekte der Kultur und Strategie man hervorheben möchte, um dann herauszufinden, wie Bewerber dazu stehen.“ Pickett hatte mit diesem Ansatz großen Erfolg. Nfrastructure habe eine Bindungsquote von über 97 Prozent erreicht. In der IT-Branche ist das ausgesprochen ungewöhnlich.
„Je länger jemand im Unternehmen bleibt, desto produktiver wird er für gewöhnlich“, sagt Pickett. „Man muss das als ein langfristiges Spiel sehen und schon ganz früh Maßnahmen ergreifen, damit jeder Mitarbeitende Spaß daran hat, sich voll und ganz für den Erfolg des Unternehmens einzusetzen und daran zu beteiligen.“
2. Identifizieren Sie Kandidaten, die Ihnen längerfristig treu sein werden
Wie gelingt es Ihnen, Talente auszuwählen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit längerfristig im Unternehmen bleiben werden? Die wichtigste Hausaufgabe ist das genaue Lesen der Bewerbungsunterlagen und insbesondere des Lebenslaufs. Bewerber, die schon lange in ihrem vorherigen Job tätig sind oder waren, sollten Vorrang haben.
„Wenn jemand über viele Jahre in einem Unternehmen gearbeitet und dabei alle Höhen und Tiefen durchlebt hat, spricht das für Loyalität, Beharrlichkeit und Engagement“, meint Pickett. Ihm zufolge sollten IT-Verantwortliche und Personaler auch nach Menschen Ausschau halten, die Mannschaftssportarten betreiben, sich ehrenamtlich engagieren oder andere Aktivitäten außerhalb der Arbeit ausüben. Ein solches Engagement zeige, dass sich jemand für eine Sache, ein Team oder einen Sport einsetze und an Dingen festhalte, die ihm wirklich am Herzen liegen.
Pickett glaubt, dass Führungskräfte, die sich auf Job-Hopper einlassen, ein Glücksspiel eingehen. Wenn diese Kandidaten oft nur auf der ständigen Suche nach dem bestmöglichen Arbeitsplatz seien, sei es für Unternehmen eher schwierig, jemanden zu halten, der in zwölf Jahren zehn verschiedene Jobs hatte.
3. Suchen Sie Talente, die ihre Unternehmenswerte teilen
Mitarbeiter bleiben in der Regel länger in solchen Unternehmen, deren Werte und Visionen sie teilen. Deshalb zahlt es sich aus, schon im Einstellungsprozesses herauszufinden, inwieweit die Vorstellungen auf beiden Seiten übereinstimmen. „Beim Identifizieren geeigneter Kandidaten ist es für uns besonders wichtig, Menschen zu finden, die sich mit der Geschichte unseres Unternehmens wohlfühlen und unsere Werte teilen“, sagt Loralie Thostenson, Senior Vice President und Technology Talent Officer bei Liberty Mutual Insurance. „Wenn das der Fall ist, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass diese Talente länger im Unternehmen bleiben.“
4. Bieten Sie Weiterbildungs- und klare Aufstiegsmöglichkeiten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den eigenen Reihen zu befördern, bedeutet für die Glücklichen nicht nur mehr Geld und Verantwortung. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass sich Leistung im Unternehmen lohnt und dass sie gesehen und gewürdigt wird. Um dem Personal diese Chance zu ermöglichen, sind Mitarbeiterentwicklung und -ausbildung entscheidend.
Nancy Parsons, CEO von CDR Companies, einem Unternehmen für Personalbeurteilung, Führungskräfteentwicklung und Talentmanagement empfiehlt: „Beginnen Sie mit einem Assessment, einem Coaching-Feedback oder einem tieferen Verständnis der spezifischen Stärken, Risikoneigung sowie den intrinsischen Motivatoren des Einzelnen. Erst danach sollte die Mitarbeiterentwicklung so gestaltet werden, dass sie den Bedürfnissen, Profilen und Zielen jedes Einzelnen entspricht.“
Der HR-Spezialistin zufolge zeigen eine Vielzahl von Studien, dass sich vor allem jüngere Bewerber der Generation Z und auch die kaum älteren Millennials nicht nur nach sinnvollen Tätigkeiten – Stichwort: Purpose – sondern auch nach einer klassischen beruflichen Karriere sehnen. Vier von fünf Arbeitnehmer dieser Generationen würden ein Unternehmen verlassen, das ihnen keine Möglichkeiten für die persönliche Weiterentwicklung bietet.
Kevin Griffin, IT-Berater bei Falco Enterprises und ehemaliger CIO von GE Capital, betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Lernangeboten. „Lernen ist nichts Zweitrangiges. Es muss im Mittelpunkt einer jeden starken Organisation stehen!“ Griffin betont, dass Investitionen in die Weiterbildung ein Ausdruck von Wertschätzung seien und von Beschäftigten als starker Anreiz zum Verbleib in einem Unternehmen gesehen würden.
5. Ermöglichen Sie Remote Work
Red-Hat-Manager Williams berichtet von zwei Mitarbeitern im eigenen Unternehmen, die kürzlich fast 2.000 Meilen von der Firmenzentrale weggezogen seien, aber ihre Jobs trotzdem behalten hätten. Die Krise habe gezeigt, dass Remote Work möglich sei. „Für uns ist diesbezügliche Flexibilität besonders wichtig“, sagt Williams.
Die meisten Experten stimmen zu, dass dies die richtige Einstellung sei, um Mitarbeitende zu halten. „Langfristige Zusammenarbeit über große Entfernungen ist möglich“, bestätigt John Dooney, HR-Berater bei der Society for Human Resource Management (SHRM). Flexibilität bezüglich der Arbeitszeiten und des Arbeitsortes erhöhe die Mitarbeiterzufriedenheit, was wiederum zu einer engeren Bindung ans Unternehmen führe. So steige letztendlich die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität eines Arbeitgebers, wenn es um das Anwerben von Spitzentalenten gehe.
6. Vergüten Sie marktkonform und belohnen Sie Treue
Im Kampf um knappe Talente konkurriert im IT-Markt inzwischen jeder mit jedem – auch überregional beziehungsweise international. Das gilt auch für Tech-Giganten wie Microsoft und Google, die in der Regel sehr gut bezahlen. „Das bedeutet, dass bei den Gehältern die Höchstbietenden den Maßstab setzen“, warnt Williams.
IT-Führungskräften bleibt also nichts anderes übrig als immer wieder zu überprüfen, ob sie bezüglich der gezahlten Löhne wettbewerbsfähig sind. Geld ist ein wichtiger Faktor für die Bindung von Talenten – eine für viele unbequeme Wahrheit. Personalexperten warnen davor zu glauben, dass die besonders treuen und langjährigen Mitarbeiter aufgrund ihrer emotionalen Bindung ans Unternehmen mit einer mittelmäßigen Gehaltsentwicklung abgespeist werden könnten. Tatsächlich erwarteten gerade solche Beschäftigte, für ihre Loyalität belohnt zu werden. Ganz schlecht sei es zudem, wenn neu einsteigende Mitarbeitende bei Gehältern und Boni vorgezogen würden.
Red-Hat-Mann Williams überprüft regelmäßig die Gehälter seiner Mitarbeiter und vergleicht sie mit dem Gehaltsniveau am Markt, um sicherzustellen, dass sein Unternehmen fair, wettbewerbsfähig und gerecht bezahlt. Allerdings betont er auch, dass die Bezahlung nur einen Teil der Gleichung ausmacht. Sozialleistungen, Arbeitsumfeld, Entwicklungsmöglichkeiten und Benefits seien ebenfalls wichtige Bausteine.
HR-Spezialistin Parsons ergänzt: „Wenn zum Beispiel im Silicon Valley ein hochtalentierter Angestellter unzufrieden ist, kann er oder sie sich einfach auf die andere Straßenseite stellen, um dort eine neue und bessere Chance zu bekommen.“ In der neuen virtuellen Arbeitswelt gebe es überhaupt keine geografischen Beschränkungen mehr.
7. Sorgen Sie aufrichtig für Ihre Mitarbeiter
Führungskräfte sollten wissen, was ihre Mitarbeitenden wollen. Wenn die Wünsche der Beschäftigten nachvollziehbar und erfüllbar sind, sollten die Entscheider sie unterstützen. „Es ist definitiv richtig, dass sich die Erwartungen der Bewerber derzeit massiv ändern“, sagt Thostenson. „Die Menschen suchen sich Unternehmen, die ihrem Wunsch nach Flexibilität und der Berücksichtigung ihrer Vorlieben entsprechen. Das gilt sowohl für Bewerber als auch für die vorhandenen Mitarbeiter. Wenn ein Unternehmen nicht in der Lage ist, diese Flexibilität zu bieten, könnte es schwierig werden, Talente anzuziehen oder zu halten“.
Thostensons Unternehmen Liberty Mutual ist deshalb bestrebt, die Belegschaft in all ihren unterschiedlichen Dimensionen zu verstehen. „Wir müssen die ganze Person unterstützen, sei es durch Flexibilität, eine breite Palette von Leistungen, finanzielle Stabilität oder sinnvolle Projekte, um sie zu halten.“
8. Priorisieren Sie das Mitarbeiter-Engagement
Der englische Begriff des Employee Engagement setzt sich auch bei uns immer mehr durch. Hier geht es um die Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen. Aufgaben, Arbeitsumgebung, Kultur – wenn solche Faktoren stimmen, sorgt das für eine positive Erfahrung der Beschäftigten mit ihrem Unternehmen. Dessen Werte werden eher getragen und mitgestaltet. Wer sich in solch einer Weise emotional gebunden fühlt, kündigt seltener und transportiert die Werte des Unternehmens auch zu den Kunden und Partnern – etwa im Social Web oder auf Mitarbeiterbewertungsplattformen wie Glassdoor oder Kununu.
Um dorthin zu gelangen, ist Kommunikation ein wichtiger Schlüssel. CIOs sollten ihre Mitarbeiter ständig über das Unternehmen und seine Ausrichtung auf dem Laufenden halten und deren Feedback einholen. „Sicher hat der eine oder andere CIO gemerkt, dass seine Führungskräfte während der Pandemie nicht immer optimal mit den IT-Professionals umgegangen sind“, sagt Dooney von der SHRM. Das Risiko, dass diese Kolleginnen und Kollegen sich nun neu orientierten, sei groß. Es sei wichtig, Gespräche zu führen, um die Befindlichkeiten zu verstehen.
Parsons schlägt sogar vor, alle drei oder sechs Monate Sitzungen zur Lage des Unternehmens abzuhalten, in denen Manager unterschiedlicher Positionen den Mitarbeitergruppen den aktuellen Status und die Strategie nahebringen. „Die Techniker wollen wissen, wie es um den Wettbewerb, die Finanzen und die Geschäftsaussichten bestellt ist.“ Parsons empfiehlt: „Beziehen Sie alle mit ein und fragen Sie sie nach Ideen. Die Techies schätzen es, sich als Partner im Unternehmen zu fühlen.“
Ein anderer Ansatz sind regelmäßige Mitarbeiterbefragungen, um am Puls der Beschäftigten zu bleiben und zu verstehen, wie dort über die Arbeit und die allgemeine Richtung des Unternehmens gedacht wird.
9. Nutzen Sie Daten (und KI) für Ihre Arbeit
In jedem Unternehmen gibt es Unmengen an Mitarbeiterdaten, mit deren Hilfe sich herausfinden lässt, welche Personen aus welchen Gründen mit einer Kündigung liebäugeln. „Wenn man das weiß, kann man Maßnahmen ergreifen, um es zu verhindern“, sagt Dave Weisbeck, CSO bei der Workforce-Analytics-Softwarefirma Visier.
„Es gibt da diese Glassdoor-Umfrage, in der angeblich herausgefunden wurde, dass der Januar der Monat sei, in dem die meisten Mitarbeiter ein Unternehmen verlassen“, sagt Weisbeck. Eigene Untersuchungen bei Visier zeigten, dass diese Annahme falsch sei. „Die Abermillionen Daten, die wir von sehr vielen Kunden gesammelt haben, zeigen, dass das dritte Quartal dasjenige mit den meisten Kündigungen ist“. Tatsächlich sei der Zeitpunkt, an dem die Boni ausgezahlt würden, ein wichtiger Stichtag: Beschäftigte warten bis dahin ab, um das Geld noch mitzunehmen, ehe sie ihre Kündigung einreichen.
Für Weisbeck ist das ein Beispiel dafür, dass eine genaue Betrachtung von Daten helfen kann, Fehleinschätzungen zu korrigieren und interessante neue Muster zu erkennen. Datenanalysen und maschinelles Lernen seien Instrumente, um gegenzusteuern, ehe Abwanderungsbewegungen einsetzen.
Die lange Anfahrtszeit von Pendlern zum Arbeitsplatz müsse die Zufriedenheit von Mitarbeitern keineswegs einschränken und ihren Wunsch zu kündigen nicht zwangsläufig erhöhen, nennt Weisbeck ein anderes Beispiel. „Wenn man anderthalb Stunden pro Strecke pendelt und eine Familie zu Hause hat, ist man oft gar nicht so unzufrieden mit der scheinbar vergeudeten Pendelzeit, sondern mit dem Umstand, dass einem Zeit für die Familie fehlt.“ Unternehmen könnten mit einer großzügigen Gleitzeitregelung und mehr Remote Work gegensteuern.
10. Lassen Sie sich von Fluktuation nicht überraschen
Manchmal sind Abgänge unvermeidlich, Unternehmen müssen dann darauf vorbereitet sein. „Es ist schwierig, wenn wir jemanden verlieren, der ein Rockstar ist“, sagt Pickett. Aber auch damit müsse man fertig werden. Hier ist eine gute Nachfolgeplanung gefragt, insbesondere bei schwer zu besetzenden Positionen beziehungsweise hochrangigen Mitarbeitern.
„Bleiben Sie mit Universitäten, technischen Einrichtungen, Berufsverbänden, lokalen Kammern und dergleichen im Gespräch“, rät Parsons. „Zeigen Sie eine starke und positive Präsenz. Sie müssen als bevorzugter Arbeitgeber positiv im Gespräch bleiben.“
*Sharon Florentine ist Senior Writer bei der CW-Schwesterpublikation CIO.com in den USA. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte liegen auf IT-Management, Karriere und Diversity-Themen.
**Mary K. Pratt ist freiberufliche Journalistin in Massachusetts.
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