Lutz Seidenfaden, CIO des Triebwerksherstellers MTU Aero Engines, richtet die IT enger an den Geschäftsbereichen aus. [...]
Die IT von MTU Aero Engines soll sich bis 2025 vom Dienstleister zum Enabler entwickeln, sagt CIO Lutz Seidenfaden. Das Industrie-Unternehmen fertigt Triebwerke für zivile und militärische Flugzeuge big und hält sie in Stand. Seine Standorte arbeiten größtenteils eigenständig. Das gilt auch für die IT vor Ort. Doch die weltweiten Aktivitäten verlangen laut dem IT-Chef nach stärker vernetzten Geschäftsprozessen und mehr Digitalisierung.
Der CIO und sein Team sollen dafür den Weg ebnen – und das eng an den Bedürfnissen des Business ausgerichtet. Doch die IT darf nicht nur ausführendes Organ sein, betont Seidenfaden: „Anstatt einfach einen Auftrag abzuarbeiten, sitzen Business und IT in interdisziplinären Planungsteams auf Augenhöhe an einem Tisch und diskutieren, was funktioniert und was nicht.“ Dabei bringen die Fachbereiche das Prozess-Knowhow mit, die IT ihre technische Expertise.
Die technische Hoheit und die Governance über die Plattformen im Unternehmen liegen aber weiterhin bei der IT. „Hier sollen Innovationen entstehen und neue Technologien wie etwa künstliche Intelligenz ins Unternehmen gebracht werden,“ so Seidenfaden. So laufe etwa gerade ein von der IT angestoßenes Pilotprojekt, um Skype durch Teams zu ersetzen. Nach dem lokalen Rollout befinde man sich nun in der Testphase für den weltweiten Einsatz: „Damit legen wir den technologischen Grundstein für den Modern Workplace bei der MTU.“
Tandem mit dem Business
Auch organisatorisch soll bei MTU ein neuer Wind wehen. Statt drei unterschiedlichen IT-Ansprechpartnern für einzelne Geschäftsbereiche und Kernprozesse gibt es zukünftig nur noch einen. Das schaffe Klarheit in der Zusammenarbeit und beschleunige Prozesse, so der CIO: „Wenn ein Geschäftsbereich zum Beispiel einen Workshop veranstaltet, wird die IT regelmäßig mit eingeladen und umgekehrt. Dadurch arbeiten beide immer im Tandem.“ Dabei gehe es auch oft um die Frage, ob die Anforderungen des einen noch zu den Roadmaps des anderen.
Zudem sei es wichtig, der Belegschaft zu demonstrieren, wie die neue Organisation funktioniert. IT-Projekte werden im oberen Management erörtert und mit den Unternehmenszielen abgestimmt. So werde etwa die IT-Infrastruktur der nächsten fünf Jahre für das Instandhaltungsgeschäft auch im Vorstand und mit den Standortleitern diskutiert.
Commitment von oben
Die oberste Managementebene trifft sich vierteljährlich, um wichtige Themen rund um Digitalisierung und IT zu besprechen. In den Meetings werden die zehn wichtigsten Business- und IT-Projekte für die nächsten zwölf Monate festgelegt und priorisiert. So sollen Abhängigkeiten besser erkannt und berücksichtigt werden. Das betrifft etwa SAP-Upgrades, das Thema Modern Workplace oder neue Personalsysteme, die sich auf das gesamte Unternehmen auswirken. Die Entscheidungen werden über ein Governance-Framework anschließend in das restliche Unternehmen getragen.
„Wegen der historisch gewachsenen Strukturen braucht es zwei bis drei Jahre Investment, bevor wir die Früchte dieser Veränderungen ernten können,“ sagt Seidenfaden. Anfang 2021 habe der Vorstand die IT-Strategie verabschiedet.
Rückhalt erfährt Seidenfaden auch in den Geschäftsbereichen: „Die Business Units investieren ebenfalls Geld und Ressourcen in die Digitalisierungsinitiative – ohne diese Unterstützung hätten wir das Bisherige nicht geschafft.“ Hier sei das Alignment von IT und Business der Schlüssel. Die alte Dienstleisterrolle der IT funktioniere nicht mehr.
Gutes besser machen
Darüber hinaus muss sich die IT auch um die eigenen Prozesse kümmern. Aus ihrer Historie und der bisherigen Kundenstruktur heraus war die MTU-IT nach Standorten organisiert, die jeweils eigenständig arbeiteten. „Das war auch erfolgreich, aber die zunehmende weltweite Vernetzung des Business verlangt das Gleiche von der IT,“ erklärt Seidenfaden. Er will gut laufende Prozesse und Systeme behalten, den Rest standardisieren und so von Skaleneffekten profitieren.
Ein besonders wichtiges Thema für MTU ist Security: Ein Chief Information Security Officer (CISO) verantwortet die Sicherheit an allen Standorten weltweit. Auch das Identity- und Access-Management (IAM) ist global aufgesetzt. Zudem stellt Seidenfaden die IT ebenso wie die Operational Technology (OT) in den Fertigungs- und Instandhaltungswerken unter die globale Governance der IT. Darüber hinaus hat er ein weltweites Software-Asset-Management-System eingeführt, um Lizensierungen zu entschlacken. Hier habe MTU bereits erste Einsparungen erzielt.
Roadmap Governance
Parallel dazu befasst sich das Team um Seidenfaden mit dem Thema Governance. Um Bedarfe aus dem Business besser als bisher in die IT zu bringen, arbeitet es an geplanten IT-Governance-Strukturen in den Fachbereichen.
In den beiden Geschäftsbereichen Produktion (OEM) und Instandhaltungsgeschäft (MRO) existieren jeweils Digital-Roadmaps für die nächsten zehn Jahre. Um Business und IT enger zu verzahnen, etablierte Seidenfaden gemeinsam mit Entscheidern aus den Geschäftsbereichen regelmäßige Meetings und optimierte die Schnittstellen.
Jeder Bereich hat nun einen Ansprechpartner in der IT. Dieser nimmt an Abstimmungsmeetings teil und holt bei Bedarf Fachexperten dazu. In den Meetings wird geklärt, welche Aktivitäten den Geschäftsbereichen wichtig sind und was dafür technisch zu tun ist. Die Aufgaben werden priorisiert, die Umsetzung besprochen und Abhängigkeiten von anderen IT-Projekten geprüft. So überspannt etwa die Logistik sowohl OEM- als auch MRO-Bereiche, so dass die logistikrelevanten IT-Aktivitäten in beiden Umgebungen zusammenpassen müssen.
Um die Roadmaps umzusetzen, gibt es je einen Gesamtverantwortlichen auf Business- und IT-Seite. „So vermeiden wir langwieriges Ping-Pong zwischen den Abteilungen, falls es mal irgendwo hakt,“ sagt Seidenfaden. Die Tandemstruktur setzt sich auf der Projektebene fort. Zudem kümmert sich die Stabsstelle Governance um das IT-Sourcing und steuert die Lieferanten.
Digital Maintenance Platform
Die Change-Initiativen tragen erste Früchte. Am größten MRO-Standort Hannover hat MTU mit der „Digital Maintenance Platform“ eine digitale Lösung für das Instandhaltungsgeschäft entwickelt. Eine App schlägt auf Basis von Zustandsdaten der Triebwerke Wartungsmaßnahmen vor. Sie ist bei zwei Kunden im Pilotbetrieb und soll mittelfristig durch weitere Funktionen wie Flottenmanagement oder Reports zum Wartungsstatus ergänzt werden.
Für das neue System nutzt MTU einen Hybrid-Cloud-Ansatz mit Microsoft Azure. Dabei kommen hauptsächlich Analytics-Funktionen zum Einsatz, bei der die Cloud Performance-Vorteile biete, so Seidenfaden: „Wir legen aber nur jene Daten in die Cloud, die wir auch aufbereitet an Kunden rausgeben dürfen.“ Dagegen blieben Daten etwa für militärische Aufträge im eigenen Rechenzentrum.
Für den Weg in die Cloud holte sich das Team um den CIO externe Hilfe. Um das Hybrid-Cloud-Modell kennenzulernen und Mitarbeiter zu schulen, arbeitet es mit Microsoft zusammen. Zudem setzt MTU auf Nearshoring-Ressourcen in Polen. Für die Maintenance-Lösung gab es gemeinsame Workshops, an denen sowohl Kollegen aus dem Wartungsgeschäft als auch MTU-ITler und Spezialisten von Microsoft teilnahmen. Seidenfaden: „Es war wichtig, dass der Geschäftsbereich bei der Entwicklung mitreden konnte. So hatten wir schnell einen Prototypen, der im Look and Feel die Anforderungen des Business abdeckt.“
Für das neue Betriebsmodell in der Hybrid-Cloud brauchte es auch neue Rollen. Ein „Chief Programming Team“ kümmert sich darum, Kollegen fachlich zu beraten und fit für die neue Umgebung zu machen. Dabei geht es etwa um Automatisierung, Continuous Integration und Deployment (CI/CD-) Pipelines sowie ein neues System- und Prozess-Design.
Für den Instandhaltungsbereich fährt Seidenfaden zwar eine Cloud-Strategie mit Azure. Doch bis 2025 soll ein weiterer Anbieter für Infrastructure as a Service (IaaS) ins Boot geholt werden. „Bei dieser Multi-Cloud-Strategie wollen wir aber keine Schnellschüsse. Wir müssen Skills aufbauen, um die Plattform sicher aufsetzen und betreiben zu können,“ so der CIO.
Big Data und KI
Im Bereich Big Data und KI hat MTU ein Center of Excellence für künstliche Intelligenz (KI) mit vier Mitarbeitern aufgebaut, das an den Big-Data-Bereich der IT angegliedert ist. „KI ist immer nur so gut wie die Daten, mit der sie gefüttert wird. Deshalb wollen wir die Plattformen sauber miteinander verheiraten,“ sagt Seidenfaden.
Laut dem CIO liefen in der Vergangenheit einige vereinzelte KI-Initiativen parallel. Bei der zentralen IT laufen nun alle Fäden zusammen und sie vernetzt die einzelnen Projekte. Die Kollegen kümmern sich um KI-Wissensmanagement und entwickeln mit dem Business integrierte Use Cases, um mehr Prozesse mit KI abdecken zu können. Zusätzlich beschäftigt MTU knapp 30 Experten für Datenanalyse, die ihre Big-Data-Kompetenz in die KI-Vorhabeneinbringen sollen.
Derzeit laufen bereits Projekte zur automatischen Datenklassifizierung im Unternehmen. Weiterhin arbeitet das Team an einem System, das Bauteile anhand von Bilderfassung und Gewicht automatisch erkennt. „Bauteile mit verschiedenen Legierungen müssen unterschiedlich gereinigt werden. Die KI-Lösung hilft unseren Kolleginnen und Kollegen an den Werkbänken, effizienter zu arbeiten und Fehler zu vermeiden,“ erläutert der CIO.
Agile Fehlerkultur
Auch wenn es mal nicht rund läuft, bewährt sich die Tandemstruktur. So nahm es beispielsweise viel Zeit in Anspruch, ein Konzept zu entwickeln, um das Product Lifecycle Management neu auszurichten. Kurz nach Seidenfadens Einstand als CIO startete die Implementierung. „Dabei stellten wir schnell fest, dass die Auslieferung nicht so verlief wie gedacht,“ erinnert sich der IT-Chef. Es habe einen Konflikt gegeben zwischen den zwei Zielen: Altsysteme abzulösen und gleichzeitig neue Prozesse zu implementieren.
„Das haben wir offen in den Steuergremien aus IT und Business angesprochen,“ berichtet der Manager. Man entschied sich für eine Atempause, um einen neuen Ansatz zu finden. Seit Juli arbeitet das Team nun mit einem agilen SAFe-Framework an einer Lösung und startete im Oktober 2021 das erste Inkrement für die Neuausrichtung. Hier lautet das Motto „fail fast“: Funktioniert etwas nicht, justiert das Steuerungsgremium kurzfristig nach und lässt die Änderungen in die Sprints einfließen.
Die Roadmap für das neue Product Lifecycle Management steht bereits: erst werden die Altsysteme abgelöst, dann wird modernisiert. Bei Bedarf sollen Digitalisierungsthemen wie Digital Twins in die Planung einfließen. Die Anforderungen für neue Systeme werden in einem Portfolio-Management festgehalten.
„Wir hatten in den vergangenen Jahren eine Art Modernisierungsstau. Mit dem Tandem aus Business und IT, Roadmaps für moderne Technologien und dem starken Rückhalt aus dem Vorstand sind wir nun aber auf einem sehr guten Weg,“ zieht Seidenfaden eine Zwischenbilanz.
*Jens Dose ist Redakteur des CIO Magazins. Neben den Kernthemen rund um CIOs und ihre Projekte beschäftigt er sich auch mit der Rolle des CISO und dessen Aufgabengebiet.
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