New Work bei Sipgate: In sechs Stunden geht erstaunlich viel

Die Belastung nach Monaten im Homeoffice war groß, die Stimmung verschlechterte sich. So verordnete Sipgate-Chef Tim Mois dem Team den Sechs-Stunden-Tag. [...]

Die "Blaue Bude" bei sipgate ist ein Rückzugsort für Teammeetings und kann im Sommer zum Grillen genutzt werden (c) sipgate

Von Überstunden hielt Tim Mois, Gründer und Geschäftsführer des Internettelefonie-Anbieters sipgate, noch nie viel: „Wir hatten schon vor Corona einen disziplinierten Umgang mit unserer Arbeitszeit.“ Konkret bedeutete das die Arbeitszeiterfassung via Stempeluhr und die Haltung, dass „Überstunden keine Normalität sein dürfen“.

Mois hat zusammen mit seiner Kollegin Corinna Baldauf schon in zwei Büchern über New Work und agile Personalarbeit nachgedacht und angesichts der anhaltenden Corona-Pandemie nun ein Experiment gewagt: Von Mitte Januar bis Ende Februar mussten die über 260 Beschäftigten täglich nur noch sechs statt acht Stunden arbeiten – ohne Abstriche im Gehalt hinnehmen zu müssen.

Entlastung nach Monaten im Homeoffice

Der Düsseldorfer Unternehmer erklärt seine Beweggründe: „Der Umzug ins Homeoffice im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hatte gut geklappt, aber nach Monaten der Remote-Arbeit und gleichzeitigen Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Homeschooling wurde vor Weihnachten die Stimmung zunehmend schlechter.“ Darum hat man verschiedene Möglichkeiten durchdacht, um das Team zu entlasten. Der Sechs-Stunden-Tag kristallisierte sich dann als beste Lösung heraus.

Für Thu Pakasathanan etwa brachte die Umstellung auf sechs Stunden eine große Erleichterung mit sich: Dadurch hatte die Personalreferentin mehr Zeit für ihre kleine Tochter, deren Kita auch nur eingeschränkt geöffnet hatte: „Ich kam auch wieder mehr zum Lesen und zum Sport. Dadurch habe ich mich innerlich wieder viel stärker gefühlt.“

Thu Pakasathanan, Personalreferentin bei sipgate: „Durch die verkürzte Arbeitszeit habe ich mich viel stärker gefühlt.“ (c) sipgate

Jedes Team entschied selbst, wie es seinen um zwei Stunden reduzierten Arbeitstag organisierte, so Pakasathanan weiter: „Das hat aber gut funktioniert, wir mussten nicht einmal die Zeiten für den Kundenservice reduzieren. Wir sind bekannt dafür, dass wir uns sinnvoll umorganisieren können.“

Meeting-Kultur hinterfragt

Geschäftsführer Mois zieht nach dem sechswöchigen Experiment auch eine betriebswirtschaftlich positive Bilanz: „Wir haben festgestellt, dass in sechs Stunden erstaunlich viel geht, auch weil die Wissensarbeiter ein Stück weit unabhängig von Zeit agieren können.“ Der Sechs-Stunden-Tag habe überdies den Blick geschärft, das Denken befreit. Etliche Dinge wurden hinterfragt, etwa die Meeting-Kultur. Muss jedes Meeting in der Länge oder mit der Teilnehmerzahl sein? Solche und andere Fragen poppten im Zuge der reduzierten Arbeitszeit auf.

Obwohl die Teams ihren Arbeitstag selbständig organisieren konnten, einigten sich alle schnell auf einen ähnlichen Arbeitsrhythmus: Drei Stunden am Vormittag und drei Stunden am Nachmittag und mittags zwischen 12 und 13 Uhr immer eine Stunde frei. Vor allem die einstündige Mittagspause empfand Mois auch für sich persönlich als hilfreich. Zusätzlich bietet sipgate jeden Mittwoch eine gemeinsame Kochstunde an, was viele als willkommene Alternative zu diversen Lieferdiensten empfinden.

In den Augen von Personalerin Pakasathanan zeigt das sechswöchige Experiment, dass der Sechs-Stunden-Tag auch ein Modell für die Zukunft sein könnte. Mit Arbeitsmodellen der näheren Zukunft beschäftigt sich auch sipgate-Chef Mois. Die für die Post-Corona-Zeit vielfach ins Spiel gebrachten hybriden Arbeitsmodelle sieht er zumindest auf Teamebene skeptisch, denn: „Entweder soll das ganze Team im Büro sein, etwa an einem Tag in der Woche, um den Tag als Team zu feiern, aber auch um gemeinsam die nächste Woche zu planen. Oder alle arbeiten remote.“

Tim Mois, Geschäftsführer von sipgate, führte in seinem Unternehmen testweise den Sechs-Stunden-Tag ein (c) sipgate

Eine Strandhütte als Rückzugsort für Teams

Umfragen ergaben bei sipgate, dass die Mehrheit der Beschäftigten drei oder vier Tage auch künftig gern von zuhause aus arbeiten würde. Das kann sich Mois als Standardmodell vorstellen: „Und für alle anderen, die zuhause nicht arbeiten können, bauen wir derzeit unser Büro um und richten einige abgeschlossene Räume ein, damit sie Homeoffice im Office machen können.“

Auch für die Zeit, in der sich die Teams wieder unbefangen im Büro treffen können, ist der Telefonieanbieter gut gerüstet. Bereits seit vergangenem Jahr steht im Innenhof die Blaue Bude, eine Strandhütte als Rückzugsort. Treffen sich die Teams für einen Tag im Büro, können sie dort unter freiem Himmel grillen, essen, die nächste Woche planen oder einen Workshop abhalten. In diesem Jahr soll noch ein Pool dazukommen. Jedes Team kann sich die Blaue Bude für ein solches „Retreat“ reservieren, um „endlich mal wieder zusammenzuarbeiten – in echt und 3D!“

*Alexandra Mesmer: Karriere und Management in der IT ist ihr Leib- und Magenthema – und das seit über 20 Jahren. Langweilig? Nein, sie entdeckt immer neue Facetten in der IT-Arbeitswelt und im eigenen Job. Sie recherchiert, schreibt, redigiert, moderiert, plant und organisiert.


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