„Ohne Transparenz keine Nachhaltigkeit“

Nachhaltigkeit ist viel mehr als die üblichen vollmundigen Ankündigungen. Es geht darum, innovative Technologien so einzusetzen, dass ein Höchstmaß an Transparenz über die gesamte Lieferkette entsteht. Sustainability-Spezialistin Vera Matisovits von Capgemini im Interview. [...]

Vera Matisovits, Sustainability Lead Insights & Data bei Capgemini in Österreich, gilt als eine der führenden Nachhaltigkeitsspezialistinnen. (c) Wolfgang Franz
Vera Matisovits, Sustainability Lead Insights & Data bei Capgemini in Österreich, gilt als eine der führenden Nachhaltigkeitsspezialistinnen. (c) Wolfgang Franz

Vera Matisovits, Sustainability Lead Insights & Data bei Capgemini in Österreich, hat ihren Master in Innovationsmanagement gemacht. Nachhaltigkeit war dort schon zu jener Zeit ein wichtiges Thema. Sie hat zudem am Institute for Sustainability Leaderhip der University of Cambridge eine Ausbildung im Bereich Business Sustainability Management absolviert. Und die Affinität zur Technologie wurde ihr gleichsam in die Wiege gelegt, da sie unter anderem in der familieneigenen Werkstatt eines Autohauses in St. Michael im südlichen Burgenland groß geworden ist. Nach Stationen in den Bereichen des digitalen Marketings und Business Transformation sowie bei Microsoft, wo „Nachhaltigkeit schon sehr lange eine wichtige Rolle spielt“, ist sie schließlich bei Capgemini gelandet, wo sie Sustainability-Themen verantwortet. „Mich hat schon immer die Frage interessiert, wie ich mit meinem Knowhow den besten positiven Impact ausüben kann, um der Klimakrise entgegenzuwirken“, sagt sie im Interview mit transform! Innovation, Technologie und Nachhaltigkeit – drei Themen, die Vera Matisovits miteinander eng verzahnt.

Was ist eigentlich Greenwashing?

„Wenn fünf Personen an einem Tisch sitzen, dann gibt es sechs Meinungen, was unter dem Begriff ›Nachhaltigkeit‹ zu verstehen ist – je nachdem, welche Rolle sie im Unternehmen ausüben. Das zeigt, wie komplex das Thema ist.“ Auch die in letzter Zeit vielbemühte Bezeichnung „Greenwashing“ sei nicht so simpel, wie es klingt. „Ist es Greenwashing, wenn ein Unternehmen Vorgaben nicht einhält, aber gegenteilig kommuniziert? Oder ist es Greenwashing, wenn ein Unternehmen ein Kleidungsstück als nachhaltig labelt, obwohl es nur zu 30 Prozent aus biologischer Baumwolle besteht, was aber für das Eco-Labeling reicht?“ Auf der anderen Seite würde es Unternehmen geben, die offen und authentisch kommunizieren. „Sie sagen etwa, dass sie zu 90 Prozent nachhaltig agieren, die restlichen zehn Prozent aber im Argen liegen – mit einem konkreten Plan, wie sie die Situation verbessern können. Diese Art von Kommunikation ist mir wesentlich lieber als die üblichen vollmundigen Ankündigungen, denen man nur schwer glauben kann.“

Sorgenkind Scope 3

Unterm Strich: Transparenz ist für Vera Matisovits einer der Knackpunkte für Nachhaltigkeit. Das betrifft nicht nur die ehrliche Kommunikation, sondern auch Prozesse innerhalb der Organisationen und über die gesamte Supply Chain hinweg. Es geht darum, bis ins letzte Detail zu wissen, wo wieviel Energie verbraucht wird oder was die Emissionswerte der Treibhausgase sind. Hier unterscheidet man zwischen Scope 1, 2 und 3. Scope 1 umfasst die direkte Freisetzung klimaschädlicher Gase im eigenen Unternehmen. Bei Scope 2 wird die indirekte Freisetzung klimaschädlicher Gase durch Lieferanten wie zum Beispiel Energieunternehmen dokumentiert. Und Scope 3 adressiert die indirekte Freisetzung entsprechender Gase in der vor- und nachgelagerten Lieferkette.

„Wenn fünf Personen an einem Tisch sitzen, dann gibt es sechs Meinungen, was unter dem Begriff ›Nachhaltigkeit‹ zu verstehen ist – je nachdem, welche Rolle sie im Unternehmen ausüben.“ Vera Matisovits (c) Wolfgang Franz

Gerade im letztgenannten Bereich sind die Herausforderungen in Sachen Informationsbeschaffung am größten. „Das liegt unter anderem daran, dass die Lieferketten sehr linear aufgebaut sind: Unternehmen arbeiten mit ihren jeweiligen Nachbarn in der Kette zusammen. Für eine umfassende Transparenz brauchen wir jedoch ein Netzwerk. Manche nennen es ›NextGen Supply Chain‹. Ich bevorzuge die Bezeichnung ›Network of Value‹“, sagt Matisovits. Um das Ziel zu erreichen, brauche es einerseits einen „großen Mindshift in allen Unternehmen egal welcher Branche. Man muss anfangen, Netzwerke auch außerhalb der Organisation zu bilden. Man muss beginnen, Informationen innerhalb des gesamten Netzwerks zu teilen. Wenn man das nicht macht, dann gibt es keine verlässlichen Informationen, sondern nur Schätzungen, womit Unternehmen die Risiken, die am Weg liegen, nicht voraussagen können.“
Es braucht also Lösungen, die leicht zugänglich sowie schnell und sicher zu implementieren sind. Ihre wichtigste Aufgabe ist, Transparenz zu schaffen.“ Wie notwendig das ist, zeigt die Studie Data for Net Zero von Capgemini. 85 Prozent der befragten Unternehmen wollen ihre Emissionen reduzieren, doch nur neun Prozent haben ihre diesbezüglichen Ziele in den vergangenen fünf Jahre erreicht. Es scheitert oft an Grundsätzlichem: So haben 91 Prozent nicht die Möglichkeit, ihre Emissionen in ihrer Gesamtheit zu messen. 61 Prozent der Organisationen fehlen die digitalen Lösungen, um die Daten zu sammeln und zu analysieren. Die geschätzte Fehlerquote in der Schätzung ihrer Emissionen liegt zwischen satten 30 und 40 Prozent.

Nachhaltiges Produktdesign

Sustainability in den Produktentwicklungsprozessen ist ein weiterer Schwerpunkt in ihrem Engagement für besseren Klimaschutz. Die Studie Rethink: Why sustainable product design is the need of the hour ebenfalls von Capgemini zeigt, dass etwa 80 Prozent der Umweltauswirkungen von Produkten auf Entscheidungen in der Design-Phase zurückzuführen sind. Mehr als zwei Drittel der Unternehmen mit nachhaltigen Produktdesign-Strategien konnten ihre Kohlendioxidemissionen verringern. Fast drei Viertel verzeichneten Umsatzsteigerungen. „Unternehmen, die ihre Dekarbonisierungsziele erreichen und erfolgreich zu nachhaltiger Entwicklung beitragen wollen, müssen bereits in der Design-Phase den gesamten Produktlebenszyklus in den Blick nehmen: von den Frühstadien des Produktdesigns über die Auswahl der Materialien bis hin zum End-of-Life-Management. Wertvoll sind dabei Konzepte wie systemisches Denken, zirkuläres Design Thinking und regenerative Ansätze“, so Vera Matisovits.

Voraussichtlich werden sich entsprechende Richtlinien in Zukunft verschärfen, unter anderem in Bezug auf die Produktlebensdauer und den Einsatz recycelter Materialien in Produkten oder Verpackungen. Unternehmen, die bislang kein nachhaltiges Design einführen, müssen daher ihre Strategie revidieren, um das Risiko mangelnder Compliance abzuwenden.

Es wird oft angenommen, nachhaltiges Design sei zu teuer – eine Vorstellung, die ein großes Hindernis darstellt. Die Ergebnisse der neuen Studie von Capgemini zeigen allerdings, dass weltweit über alle Branchen hinweg 23 Prozent der Unternehmen, die mindestens eine Strategie für nachhaltiges Design realisiert haben, einen Kostenrückgang verzeichneten. Bei 37 Prozent der Unternehmen sind die Kosten gleichgeblieben.

Der Studie zufolge ist es sinnvoll, Investitionen in nachhaltiges Produktdesign auf lange Sicht zu betrachten, doch für viele Unternehmen zahlen sie sich bereits aus. Von den Unternehmen, die einen Kostenanstieg zu verzeichnen hatten, gaben 51 Prozent an, dass dieser bei ihnen aufgewogen wird. 67 Prozent der Unternehmen weltweit konnten ihre CO2-Emissionen reduzieren. Zudem berichten 73 Prozent von einem stärkeren Umsatzwachstum. Ein Großteil der Unternehmen registrierte darüber hinaus eine gestiegene Kundenzufriedenheit und ein höheres Engagement der Mitarbeiter. Nachhaltiges Design eröffnet zudem die Chance zu Kostensenkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette – etwa durch Material- oder Gewichtsreduzierungen, die darauf abzielen, die Menge der für ein Produkt benötigten Materialien zu verringern. Weitere Strategien bestehen unter anderem darin, die Produktionseffizienz zu steigern sowie Transportkosten durch ein optimiertes Produkt- und Verpackungsdesign zu senken.

Der Artikel erschien in der Ausgabe 03/2022 des Magazins transform!


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