Zurück ins Büro oder Home-Office forever?

Firmen der Digitalwirtschaft berichten, wie sie nach dem Ende der Home-Office-Pflicht den Arbeitsalltag gestalten. Der Trend geht zum hybriden Arbeiten. [...]

(c) pixabay.com

Viele Arbeitgeber standen vor der Entscheidung, ob und wie die während der COVID-19-Pandemie gewonnene Flexibilität beibehalten werden soll. Ist komplett remote der Königsweg? Oder sind eher Kompromisse gefragt, damit Kolleg:innen nicht nur virtuell in Kontakt kommen? Eine Umfrage bei mehreren Unternehmen der Digitalwirtschaft zeigt, dass alle Optionen in der Praxis vertreten sind.

Die meisten der befragten Firmen setzen nach Ende der Home-Office-Pflicht auf flexible Arbeitsmodelle und überlassen ihren Mitarbeitenden die Entscheidung, wie und wo sie arbeiten möchten. Christian Deponte, Vice Präsident bei New Relic, einem Anbieter für Observability-Lösungen und Echtzeit-IT-Überwachung, erläutert, dass sowohl für das Unternehmen als auch die Teammitglieder die Flexibilität einen großen Vorteil mit sich bringt.

Bei New Relic haben sie ein ein sogenanntes „Flex First“-Modell eingeführt, nachdem es den Mitarbeitenden weltweit frei steht, dort zu arbeiten, wo sie möchten. „Mit den richtigen Online-Tools und Ritualen sowie unserem Büro in Stuttgart bieten wir allen Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, den Anteil remoter Arbeit selbst zu bestimmen“, so Deponte.

Unternehmen geben Verantwortung ab

Flexibilität setzt jedoch auch Vertrauen voraus. Die Unternehmen betonen, dass vor allem das große Engagement der Mitarbeitenden Remote-Konzepte überhaupt er möglich macht. Auch bei Talent Tree, einer Personalberatung für Startups und Tech-Pioniere gibt es keine Vorgabe, eine bestimmte Anzahl von Tagen im Firmenbüro zu arbeiten, sagt Julian von Blücher, Gründer und CEO von Talent Tree.

„Das alles funktioniert aber nur, weil bei uns ein sehr hohes Maß an gegenseitiger Unterstützung herrscht. Es gibt bei uns keine Trittbrettfahrer:innen, dafür aber eine Menge psychologischer Sicherheit“, so Blücher. Es zeigt sich, dass die Unternehmen durchaus in der Lage sind, Kontrolle abzugeben und die Entscheidung für oder gegen das Home-Office ihren Mitarbeitenden zu überlassen.

Rabea Thies, Head of People and Culture bei Meister sagt: „Wenn ich jemandem vertraue, dann glaube ich auch daran, dass diese Person selbst einschätzen kann, wann und wo sie am besten arbeiten kann. Daher haben wir uns letztlich entschlossen, sowohl auf eine Kernarbeitszeit sowie auf verbindliche Bürotage und -anwesenheitspflichten vollständig zu verzichten.“

Internationale Teams profitieren

Für Unternehmen, die international agieren und deren Teams sich aus verschiedenen Zeitzonen und Standorten in verschiedenen Ländern zusammensetzen, gehörte auch vor der Pandemie das digitale Arbeiten zum Standard. Hier waren die Überlegungen zum Ende der Home-Ofiffce-Pflicht anders gelagert.

Lars Riehn, Practice Lead People & Culture des Cloud-Providers Skaylink sagt: „Bei Skaylink war auch schon vor der Pandemie hybrides und verteiltes Arbeiten durch unterschiedliche Standorte üblich. Das Thema Anwesenheit wurde schon immer individuell geregelt. Auch unser Onboarding war stets hybrid und wird es auch nach der Pandemie bleiben. Und da es bei Skaylink schon lange internationale Kolleg:innen gibt, wurden Events immer schon so gestaltet, dass auch diese remote an ihnen teilnehmen konnten.“

Auch das Team des Solaranlagen-Spezialisten ecoligo lebt und arbeitet seit mehreren Jahren auf vier verschiedenen Kontinenten. CEO Martin Baart betont die entscheidende Rolle befähigter Mitarbeitender und funktionierender Austauschformate beim verteilten Arbeiten: „Wichtig ist es, dass alle Teammitglieder genau wissen, wie und wozu welche Tools verwendet werden. Regelmäßiger Austausch mit dem gesamten Unternehmen, lockere Coffee-Talk-Sessions und virtuelle Feiern haben bei uns den Teamgeist nicht nur erhalten, sondern sogar weiter gefördert.“

Bei Shopify, Entwickler der E-Commerce-Plattform, wird grundsätzlich und unabhängig von der Pandemie ausschließlich von zu Hause gearbeitet. Hierfür erhalten all die Mitarbeiter:innen weltweit das technische Equipment sowie das Mobiliar vom Unternehmen.

„Das Ende der Home-Office-Pflicht wird an unserem Digital-by-Design-Ansatz nichts ändern. Da unsere Entscheidung von Anfang an über die Pandemie hinausgedacht war und wir gesehen haben, welche Vorteile sich aus unserer Entscheidung für alle ergeben haben – besonders im Hinblick auf eine ausgewogene Work Life Balance.“ sagt Linda Hoffmann, Senior Business Development Managerin bei Shopify.

Hybride Flexibilität als neue Leitlinie

Viele Unternehmen, die vollständig remote arbeiten oder auf Flexibilität setzen, nutzen Tools und virtuelle Events, um die Mitarbeitenden zusammenzubringen. Doch kann dies ein echtes Zusammenkommen und einen Austausch in Person tatsächlich ersetzen? Diese Frage stellte sich unter anderem auch das mittelständische Unternehmen Diamant Software.

„Für uns war klar, dass wir die Frage, wie wir mit dem Aus der Home-Office-Pflicht umgehen möchten, nur in einem sehr offenen Dialog klären und entscheiden können“, sagt Haiko van Lengen, CEO bei Diamant Software, eine Anbieter für intelligentes Rechnungswesen und Controlling. Das Ergebnis: die deutliche Mehrheit der Diamant-Mitarbeitenden möchte zurück ins Büro und wünscht sich ein hybrides Modell.

„Einerseits liegen die Vorteile wie Ruhe, höhere individuelle Produktivität oder weniger Fahrzeit für das Home-Office auf der Hand. Andererseits hören wir nach zwei Jahren Pandemie aus dem Team, dass vielen mittlerweile persönliche Begegnungen von Mensch zu Mensch sehr fehlen. Wir als Unternehmen profitieren stark von den informellen Netzwerken, die durch Kontakte im Büro einfacher entstehen.“ Daher werden bei Diamant Software perspektivisch zwei Arbeitstage pro Woche im Büro angestrebt, wobei es auch individuelle Anpassungen je nach Abteilung gibt.

Als kleines Goodie stellt Diamant Software täglich kostenfreies Frühstück zur Verfügung. Die Regelung zum hybriden Arbeiten soll zum einen darauf abzielen, den Bedürfnissen der Mitarbeitenden gerecht zu werden und zum anderen das Büro als einen Ort für wertvolle persönliche Begegnungen neu in den Mittelpunkt zu stellen.

Es gibt jedoch auch Unternehmen, die klar die Vorteile darin sehen, im Büro gemeinsam zusammenzuarbeiten. Immerhin war das Büro vor der Pandemie der zentrale Arbeitsort, und die Umstellung mehr oder minder von der akuten Pandemie-Lage erzwungen.

Johannes Woithon, Gründer und Geschäftsführer von orgavision, Anbieter von Lösungen für das Qualitätsmanagement, spricht sich entgegen dem Trend der befragten Unternehmen für eine Präsenz im Büro aus: „Bei uns stand hybrides Arbeiten nie auf der Agenda. Es wurde bereits vor der Pandemie davon ausgegangen, dass im Büro gearbeitet wird, und das hat niemand hinterfragt. Hinzu kommt, dass unser Büro sehr schön ausgestaltet ist und Arbeiten im Büro das Wir-Gefühl des Unternehmens stärkt.“ Die Arbeit von überall und komplett virtuell hat eben auch Nachteile und ohne persönliche Begegnungen entsteht eine Unternehmenskultur nur schwer.

Remote oder nicht: Es bleibt ein Findungsprozess

Das Stimmungsbild unter den Unternehmen aus der Digitalwirtschaft zeigt, dass die meisten auf hybride Lösung für ihre Mitarbeitenden setzen – und sie vertrauen darauf, dass dies auch so bleibt. Die letzten zwei Jahre haben gewiss die Wertschätzung für das remote Arbeiten gesteigert und zugleich auch neue Möglichkeiten für das Recruiting eröffnet. Sicherlich hat die Home-Office-Pflicht viele Betriebe zum Umdenken gebracht, die nicht schon zuvor flexible Lösungen für ihre Mitarbeiter angeboten haben. Fest steht: Viele Mitarbeiter:innen können sich zukünftig auf eine hybride Arbeitsweise mit mehr Selbstbestimmung freuen und weltweit Arbeitgeber finden, ohne umziehen zu müssen.

Allerdings ist die physische Anwesenheit und persönliche Begegnung auch ein großer Treiber für die Unternehmenskultur und den kreativen Austausch. Auch darauf wollen Mitarbeitende und Unternehmen nicht vollständig verzichten. Der Querschnitt der befragten Firmen zeigt: Ob remote oder nicht, bleibt eine Abwägung und eine Entscheidung, die nicht vorschnell getroffen wird.

*Hans Königes ist Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.


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