Warum Unternehmen Chief Data Officer wirklich brauchen

Das Kürzel CDO kann für Chief Digital Officer als auch für Chief Data Officer stehen. Der feine Unterschied: Der Chief Data Officer fängt an, wo der Chief Digital Officer aufhört. [...]

Alle Industrie- und Schwellenländer stecken gerade in einer echten Revolution: Die Digitalisierung und der digitale Wandel. Bei der Digitalisierung geht es darum, ursprünglich nicht-digitale Prozesse nun digital zu erfassen, zu steuern oder sogar direkt umzusetzen, ganz ohne Papierkram und manuelle Tätigkeiten.
In dieser Digitalisierung steckt die mitteleuropäische Wirtschaft seit Jahrzehnten, spätestens seit der Einführung von ERP- und Dokumentenmanagement-Systemen, in den letzten Jahren jedoch mit zunehmender Verstärkung durch immer leistungsfähigere IT-Hardware und -Software. Diese Entwicklung erfolgt in nahezu allen Wirtschaftszweigen, und somit wächst auch die Anzahl an Trendbegriffen jährlich an: Industrie 4.0, Smart Farming, Connected Car und einige mehr.
Der digitale Wandel ist nochmal einen Schritt weiter und bezeichnet neue Produkte, Services und damit verbundene Geschäftsmodelle, die erst dank der Digitalisierung entstehen (können). Das ist das Metier des Chief Digital Officers und dementsprechend befasst er sich vor allem mit der Anwendungsseite. Dazugehörige Stichworte sind beispielsweise Apps für mobile Endgeräte, RFID, NFC, Bitcoin, Blockchain und das immer noch aktuelle Web 2.0.
Chief Digital Officer befassen sich mit diesen Innovationsthemen und setzen sie für das Unternehmen um, sind demnach auch Change Manager. Die Schaffung und Nutzung von digitalen Produkten und Prozessen im eigenen Unternehmen sowie auch bei Kunden und Lieferanten generiert wiederum Daten in Massen, womit sich der Chief Data Officer befasst.
Sehen wir bis hierhin schon mal ein: Für die meisten Anwender klingt das trendige Digital irgendwie deutlich ansprechender als das nüchterne Data.
Die Finanzbranche setzt auf Data, die Industrie auf Digital
Wer im Business Social Media nach Personen mit der Position Chief Data Officer sucht, erhält gegenwärtig vor allem Kontaktvorschläge aus dem Finanz- und Dienstleistungssektor. Warum Finanzdienstleister bereits besonders früh auf Chief Data Officer setzten, ist schnell erklärt: Dieser Branchenbereich arbeitet zum einen nur mit Daten, zum anderen haben gerade viele Unternehmen aus der Old Economy historisch gewachsene IT-Systeme und damit verbundene große Herausforderungen mit der Heterogenität der Datenquellen, mit denen aber dennoch regulatorische Anforderungen zu erfüllen sind.
Sandra Holz arbeitet als Chief Data Officer bei der Berliner Sparkasse: „Sprechen wir über die Digitalisierung, so liegt der Schwerpunkt überwiegend auf Technologien, Systemen und Datenbankmodellen sowie deren Sicherheit. Die Inhalte – Daten und Informationen – sind aber das eigentliche Wirtschaftsgut eines Dienstleistungsunternehmens. Sie tragen in der digitalen Transformation wesentlich zum Unternehmenserfolg bei. Hier kommt der Chief Data Officer (CDO) ins Spiel: Er oder sie nimmt eine wichtige Unterstützungs-, Multiplikatoren- und Vorbildfunktion wahr und trägt damit zum effizienten, ordnungsgemäßen und qualitätsgesicherten Umgang mit Daten im Unternehmen bei. Dabei vertritt er die Interessen des Unternehmens aktiv nach innen und außen. Aufgabe des CDO ist es auch, die interne Umsetzung gesetzlicher und aufsichtsrechtlicher Vorgaben etwa der MaRisk oder des Baselkomitees hinsichtlich des Umgangs mit Daten nachzuhalten.“ 
In den Branchen des produzierenden Gewerbes, beispielsweise im Maschinenbau, findet sich gegenwärtig noch kaum ein Chief Data Officer. Demgegenüber hat nahezu jedes dieser Industrieunternehmen eine Position als Chief Digital Officer besetzt, bei welcher der Digitalisierungsauftrag klar kommuniziert wird.
Auch diese Erscheinung ist schnell erklärt: Die Industrie der Realgüter ist in der Herstellung ihrer jeweiligen Produkte sehr erfahren, oftmals dank einer langen Tradition. Nun geht es darum, die Digitalisierung umzusetzen und das reale Gut mit der digitalen Welt zu verknüpfen. Die dabei anfallenden Daten werden erst ansatzweise genutzt, der Fokus liegt vorerst viel mehr darauf, die digitale Anbindung überhaupt herzustellen.
Der Chief Data Officer fängt an, wo der Chief Digital Officer aufhört
Während der Chief Digital Officer die Digitalisierung für das Unternehmen umsetzen soll, ist die intelligente und mehrwertorientierte Nutzung der resultierenden Daten der Auftrag des Chief Data Officers. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Daten tatsächlich generiert, gespeichert und gesichert werden. Anders als vom Marketing vieler Lösungsanbieter behauptet, bringt die Speicherung von Big Data allein kein Value, nicht mal im geringsten, denn Value entsteht erst durch die Nutzung: Data Mining, Data Analytics, Data Science, auf die Wortwahl kommt es dabei weniger an.
Die produzierende Industrie nutzt gegenwärtig nur einen sehr kleinen Bruchteil – oft wird von nur einem Prozent gesprochen – aller anfallenden Daten. Im Handel und in der Finanzwelt mag die Quote höher liegen, von einem sich selbst in Gänze verstehenden, transparenten Unternehmenssystem sind aber selbst die Pioniere noch weit entfernt.
Gute Chief Data Officer treiben die Erkenntnisgewinnung aus den anfallenden Daten voran und identifizieren auch Datenquellen, die dieses Vorhaben unterstützen. Dabei ist es keinesfalls so, dass der Chief Data Officer in verschlossenen Räumen arbeitet, das Gegenteil ist der Fall. Chief Data Officer arbeiten interdisziplinär und auch Kommunikationsstärke ist für sie essenziell.
Andreas Eickelkamp ist Chief Data Officer bei der FTI Group: „Neben analytischer und technischer Kompetenz sind für mich kommunikatives Geschick und Feingefühl im zwischenmenschlichen Umgang die wichtigsten Fähigkeiten über die ein Chief Data Officer verfügen muss. Seine tägliche Aufgabe besteht darin, die Daten eines Unternehmens bestmöglich zu bündeln, zu analysieren und im Sinne des Konzerns weiterzuverarbeiten. Dafür muss er stets mit allen Abteilungen zusammenarbeiten, um Geschäftschancen, die sich in Datenbeständen verbergen, überhaupt erkennen zu können. Und wichtiger: Sobald diese ausgemacht sind, müssen Veränderungen innerhalb des Unternehmens sensibel angestoßen und gemangt werden, um eine breite Zustimmung für die Maßnahmen zu erlangen. Die besten Projekte nutzen nichts, wenn sie von den Kollegen nicht angenommen werden.“
Chief Data Officer werden künftig in jeder Branche gebraucht
Es mag sich die Frage stellen, welche Rolle Chief Data Officer im Unternehmen einnehmen. Chief Data Officer sind vor allem Berater und Wegweiser der Geschäftsführung, wie die Kunden und Lieferanten, der Wettbewerb und auch die eigenen Produkte und Prozesse besser verstanden werden können.
Im Kontext der Industrie 4.0 werden die Chief Digital Officer als die größten Change Manager angesehen. Dass Chief Data Officer hingegen keinen Change anstoßen, ist natürlich nicht richtig, denn zum einen braucht es für die Erkenntnisgewinnung aus Daten oftmals neue Prozesse, zum anderen weisen eben diese gewonnenen Erkenntnisse manchmal auf unbequeme Wahrheiten über Geschäftsprozesse hin.
Kerstin Seele ist Chief Data Officer der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft in Köln: „Solange man mit den Fachbereichsverantwortlichen noch über den Zusatzaufwand für Data Governance/Datenqualität diskutiert, steckt man als CDO noch mitten im Changeprozess. Steht aber der erster Fach’ler vor einem und möchte sich vergewissern, dass er bisher ‚doch schon alles richtig gemacht hat?‘, fängt die Chance zur Beratung an. Dann hat ein guter CDO die Chance, in einem einzigen Ansatz die Fachlogik, den Prozess UND die Qualität zu verbessern.“ 
Während die Revolution der Digitalisierung irgendwann als abgeschlossen betrachtet werden kann und Chief Digital Officer vermutlich obsolet werden, wird es stets jemanden brauchen, der die Verantwortung für die Erkenntnisgewinnung über Datenanalytik und künstlicher Intelligenz aus unternehmensinternen und -externen Datenquellen heraus übernimmt, dabei allerdings auch die gesetzlichen Ansprüche an den Datenschutz und die Datensicherheit nicht aus den Augen lässt.
Chief Data Officer beherrschen den Produktionsfaktor Daten
Die Hervorhebung der Wichtigkeit von Daten für ein Unternehmen könnte derzeit nicht größer sein. In unterschiedlichsten Quellen wird festgestellt: Daten sind das neue Öl und nach Kapital, Arbeit und Boden der vierte Produktionsfaktor. Andere betrachten Daten direkt als Kapital. In Anbetracht der Tatsache, dass die finanzielle Bewertung von Unternehmen aus bestimmten Branchen auch direkt über den Bestand und die Qualität der Daten heraus erfolgt – Daten somit Teil der Unternehmensbilanz werden – ist das nicht weit hergeholt.
Wolfgang Hauner ist Chief Data Officer bei der Munich Re: „Daten sind die grundlegende Basis für den Geschäftserfolg und bilden heute mehr denn je ein kostbares intellektuelles Gut. Daher sollte jedes Unternehmen diesen – teilweise verborgenen – Schatz heben und nutzen. Dazu muss sichergestellt werden, dass die Daten im Voraus oder ad hoc bei der Analyse in eine logische Struktur gebracht werden sowie zum Einen technisch und rechtlich sicher gespeichert, zum Anderen für die vorgesehenen Nutzer einfach zugänglich gemacht werden. Seit einigen Jahren, nicht zuletzt wegen Big Data, wachsen die Anforderungen an Datenanalyse und in gleichem Maß die Möglichkeiten der Datennutzung rapide. Das erfordert, dass die richtige Feinabstimmung zwischen geschäftlichem Knowhow, den Analysemethoden, der IT-Strategie, der Data Governance und dem Datenmanagement zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für die Geschäftsstrategie und deren Umsetzung wird. Auf Grund der fundamentalen Bedeutung einer zielführenden Strategie für Data und Analytics – getrieben von der digitalen Transformation – und unter Berücksichtigung, dass z.B. viele Fachbereiche, Strategiebereich, Rechtsabteilungen sowie natürlich der IT-Bereich eines Unternehmens davon betroffen sind, erscheint es mir als absolut notwendig, diese komplexen Herausforderungen von einem Chief Data Officer als dafür verantwortliche Stelle managen zu lassen.“
Chief Data Officer müssen sowohl über Interdisziplinarität auf mehreren Gebieten, als auch über grundlegende analytische Kompetenz verfügen. In manchen Unternehmen ist die Stelle des Chief Data Officers und die des Chief Data Scientists – oder wie immer der Chef-Analytiker auch bezeichnet sein mag – mit derselben Person besetzt. Dies muss in dieser Ausprägung allerdings nicht der Fall sein, denn auf der CDO-Ebene ist strategische Arbeit gefragt, ein grundsätzliches Verständnis von Datenanalytik ist aber unabdingbar.
Steffen Ehrmann ist Chief Data Officer bei Schwäbisch Media in Ravensburg: „Ein CDO muss selbst kein Data Scientist sein, aber er sollte gut wissen, was sich aus welchen Daten machen lässt und wie sich am Ende daraus Wert schöpfen lässt. Den Nutzen aus dem Datenschatz für das Unternehmen zu erkennen und zu fördern steht im Fokus. Insofern muss er eher darauf achten, dass die richtigen Daten zur Verfügung stehen und vor allem eine kompatible Schnittstelle zu den Data Scientists bilden als selbst auf den Daten zu arbeiten.“ 
Ist der Erfolg der CDOs ein Armutszeugnis für CIOs?
Dass die IT eine wichtige Rolle in jedem Unternehmen spielt, ist seit der Erscheinung der Rolle des Chief Information Officer bekannt. Der CIO verantwortet die IT-Infrastruktur, Datenbanken und die darin enthaltenen Daten. Es gehört zu den ersten Lehrsätzen sowohl in der Informatik als auch in der Management-Theorie, dass aus Daten Informationen werden, wenn sie in einen Kontext gebracht werden (beispielsweise Zeichenfolgen als Adressinformationen).
Werden diese Informationen untereinander sinnvoll verknüpft, entsteht Wissen (z. B. über welche Kaufkraft bestimmte Kunden wahrscheinlich verfügen). Wir sind eigentlich nicht auf der Suche nach Daten, sondern nach Informationen. Oder andersrum formuliert: wir generieren, suchen und nutzen Daten ausschließlich, um Informationen zu gewinnen. Genau für diese Aufgabe war die Position des CIOs vorgesehen.
Helmut Draxler ist Chief Information Officer bei der Knorr-Bremse AG in München: „Wenn der CIO seinen Job richtig macht, dann braucht es die Chief Data Officers, Chief Digital Officers etc. nicht.“
So manches Unternehmen hat sich in seiner IT-Infrastruktur jedoch so festgefahren, dass der CIO zum Verwalter der Produktivsysteme geworden ist, dem CDO hingegen die Spielwiese der Innovation und Experimente überlassen wird. Doch spätestens die Überführung dieser Experimente nach Erreichung eines gewissen Reifegrades in die Produktivsysteme, führt beide Positionen wieder zusammen – mit allen Synergie- und Konfliktpotenzialen.
* Benjamin Aunkofer ist Gründer von DATANOMIQ, einem Dienstleister für Data Science und Business Analytics, sowie Mitbegründer des Vereins für datengestützte Produktion und Logistik, Connected Industry e.V.

Mehr Artikel

News

Bad Bots werden immer menschenähnlicher

Bei Bad Bots handelt es sich um automatisierte Softwareprogramme, die für die Durchführung von Online-Aktivitäten im großen Maßstab entwickelt werden. Bad Bots sind für entsprechend schädliche Online-Aktivitäten konzipiert und können gegen viele verschiedene Ziele eingesetzt werden, darunter Websites, Server, APIs und andere Endpunkte. […]

Frauen berichten vielfach, dass ihre Schmerzen manchmal jahrelang nicht ernst genommen oder belächelt wurden. Künftig sollen Schmerzen gendersensibel in 3D visualisiert werden (c) mit KI generiert/DALL-E
News

Schmerzforschung und Gendermedizin

Im Projekt „Embodied Perceptions“ unter Leitung des AIT Center for Technology Experience wird das Thema Schmerzen ganzheitlich und gendersensibel betrachtet: Das Projektteam forscht zu Möglichkeiten, subjektives Schmerzempfinden über 3D-Avatare zu visualisieren. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*