Wie Beiersdorf und Dr. Oetker EAM einsetzen

"Wir hatten wenige strategische Synergien in der IT und einen relativ geringen Beitrag von EAM im digitalen Transformationsprozess", sagt Melanie Czink, Head of Enterprise Architecture bei Beiersdorf [...]

Foto: Beiersdorf

Je größer die anstehenden Veränderungen in den Unternehmen, desto stärker setzen sie auf Enterprise Architecture Management (EAM). Unter IT- und Business-Verantwortlichen wächst die Einsicht, dass die Enterprise Architecture mit ihrem Methoden-, Architektur- und Technologie-Know-how einerseits sowie mit ihrem Prozess- und Business-Verständnis andererseits ideal positioniert ist, um den digitalen Change zu begleiten.

Zwei Mitglieder des Cross-Business-Architecture Lab (CBA Lab) zeigen am Beispiel der Großunternehmen Beiersdorf und Dr. Oetker, wie sich die Herangehensweise in Sachen EA verändert.

Ein Unternehmen müsste agieren können wie ein großer Vogelschwarm, der auf plötzlich auftauchende Hindernisse und Gefahren mit schnellen Richtungswechseln in perfektem Formationsflug reagiert. Dabei geht der ursprünglich eingeschlagene Kurs nicht verloren. Eine moderne Enterprise Architecture kann auch komplexen Organisationen zu dieser im digitalen Zeitalter so nötigen Agilität und Flexibilität verhelfen. Diese treffende Beschreibung stammt von Gordon Cooper, Director of Services and Customer Success beim Softwareanbieter MEGA North America.

In der Realität arbeiten Unternehmen hart an diesem Zielbild, sind aber unterschiedlich nah dran. In Sachen „neues EA-Bewusstsein“ haben sich auf dem Weg zu solchem „Schwarmverhalten“ in den letzten Jahren – vorangetrieben durch die Anforderungen der Digitalisierung und zum Teil auch durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie – mehrere Erkenntnisse durchgesetzt, die von Beratern, Anwendern, der Gartner Group und auch dem CBA Lab formuliert wurden.

Ihnen gemein ist, dass sie sehr gut ein Bild beschreiben, dass die Mitglieder des CBA Labs heute im „neuen EA Bewusstsein“ sehen:

  • Business Outcome statt Prozessoptimierung – Dahinter steht die Erkenntnis, dass die EA nur dann wirken kann, wenn sie einen direkten Beitrag zum Erreichen der Geschäftsziele liefert. Das heißt unter anderem, sie muss auch Kriterien entwickeln, die diesen Beitrag messen können. Und sie muss sich mit Business Assets genau so intensiv beschäftigen wie mit IT-Assets.
  • Konzentration auf das Gesamtunternehmen statt auf IT – Enterprise Architecture als Unternehmens– und nicht als IT-Funktion ist bereits eine alte Forderung (eigentlich bereits, seit es Enterprise Architecture gibt). Allerdings wird sie erst in jüngerer Vergangenheit außerhalb der EA-Community ernst genommen. Die Unternehmensführungen haben inzwischen erkannt, dass die digitalisierungsbedingten, teilweise radikalen Veränderungen nur realisiert werden können, wenn eine Konversionsschicht Brücken baut, um Geschäftsstrategie und Technologie miteinander zu verbinden. Diese Zwischenebene ist die Enterprise Architecture.
  • Beratung statt Kontrolle – Die schnelle Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Prozesse hat es nötig gemacht, dass Enterprise-Architekten deutlich früher in die Veränderungsprozesse involviert sind, in agilen Umgebungen teilweise sogar als Mitglieder von Entwicklungs- und Projektteams. Schon beim Entstehen von Piloten und Minimal Viable Products beeinflussen sie Architekturentscheidungen.
  • Leitplanken statt Command and Control – Durch die Vielzahl paralleler Entwicklungen wäre die Architektur ein klarer Flaschenhals, wenn sie jedes Projekt mit detaillierten Vorgaben versehen würde. Heute werden deshalb Leitplanken installiert, die die Richtung vorgeben, aber die Einzelentscheidung innerhalb der vorgegebenen Rahmen den Teams überlassen.
  • Architekturskizze statt festgefügter Plan – Auch dieser Paradigmenwechsel ist der Veränderungsgeschwindigkeit der VUCA-Welt geschuldet. Pläne werden schnell zu Makulatur und sind schwieriger anzupassen, als neue Skizzen anzufertigen.
  • Konzentration auf Future State statt auf As-it-is State – Die Enterprise Architecture hat erkannt, dass sie von der Führungsebene (in Geschäft und IT) am besten akzeptiert wird, wenn sie sich mehr auf Veränderungsgestaltung und Begleitung konzentriert als auf die Beschreibung des Status Quo. Selbstverständlich ist letzterer wichtig, um sich weiterzuentwickeln, aber die Erfassung des Istzustands ist eher eine Wegmarke als ein Ziel.
  • Menschen- statt System-fokussiert – Diese Perspektive ist im Cross-Business-Architecture Lab 2021 erarbeitet worden. Sie besagt im Grunde, dass sich Enterprise Architecture in Unternehmen viel leichter verankern lässt und die Leitplanken der EA viel schneller akzeptiert werden, wenn die Entscheidungsträger in IT und Business in die Architekturentwicklung involviert sind und für die Architektur in ihren Bereichen Verantwortung übernehmen. Damit bekommen Communities eine Rolle zur Umsetzung der Enterprise Architektur.

Unternehmen, die im Cross-Business-Architecture Lab organisiert sind, arbeiten gemeinsam daran, EA in einem neuen Bewusstsein wie oben beschrieben auszuprägen und dementsprechend einzusetzen. Und zwar so, wie es zum einzelnen Unternehmen am besten passt. Die Beispiele Dr. Oetker und Beiersdorf zeigen, wie es funktionieren kann:

Dr. Oetkers Enterprise Architecture soll dezentral arbeiten

Die Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG als Unternehmen mit mehr als 40 Landesgesellschaften, einer zentralen IT-Organisation, einem Digitaldienstleister in Berlin und einem partnerschaftlich verbundenen Rechenzentrumsbetreiber setzt seit 2018 verstärkt auf EAM. Ursprünglich von der IT initiiert und von der Geschäftsführung unterstützt, um Transparenz in die IT-Anwendungslandschaften zu bringen und sie zu harmonisieren, ist das Architekturdenken im Konzern mittlerweile umfassender geworden.

Die Transparenz ist inzwischen durch ein zentrales Repository, das mit dem BPM-Tool verknüpft ist, weitgehend vorhanden. Doch nun will das Enterprise-Architecture-Team mehr erreichen. Es geht ihm auf der einen Seite um Planung und Governance, auf der anderen Seite aber auch um ein möglichst gutes Zusammenspiel zwischen Business und IT. Das soll letztlich dabei helfen, die zum Teil widersprüchlichen Interessen zwischen lokalen Einheiten und dem Gesamtunternehmen auszugleichen.

Ein Meilenstein auf diesem Weg war die fast zeitgleiche Einführung der sogenannten internationalen Business-Hauptabteilungen, die entlang von Funktionen wie Produktion, Marketing und Procurement gebildet wurden. An diesen Hauptabteilungen orientierte sich auch die zentrale EA und schuf für jede dieser Domänen ein eigenes virtuelles Business-Architecture-Team, in dem verschiedene Rollen abgedeckt sind, unter anderem die des IT-Architekten und die des Business-Architekten: der eine aus der IT, der andere aus dem Business.

Obwohl immer eine gewisse Widersprüchlichkeit herrscht zwischen den lokalen Optimierungswünschen und der globalen Governance haben die Business-Architecture-Teams in den Domänen geholfen, diese abzumildern. „Wir stärken den Community-Gedanken auch durch vierteljährliche Treffen aller Business-Architecture-Teams und dem Enterprise-Architecture-Team sowie bilaterale Treffen zwischen dem zentralen EAM-Team und dem einer Domäne“, erklärt Sylvia Lakämper, Enterprise Architecture Manager bei Dr. Oetker.

Langfristig strebt das zentrale EAM-Team ehrgeizige Ziele an: „Wir möchten das enge Alignment zwischen IT und Business erreichen“, erklärt Marco Carolla, Strategic Lead Enterprise Architecture bei Dr. Oetker. Allerdings ist bis dahin noch ein ziemliches Wegstück zurückzulegen. Bisher ist es gelungen, cross-funktionale Teams zu etablieren, die immer besser zusammenarbeiten. Der As-Is-Stand der Architektur ist gut dokumentiert und wird trotz der verschiedenen großen Stakeholder auf dem Laufenden gehalten. Auch zum Prozessmanagement gibt es eine enge Schnittstelle. Hier ist es dank einer Business-Capability Map bereits früh gelungen, Architecture und Prozesse miteinander zu verbinden.

9 EAM-Capabilities sollen verbessert werden

Wegen solcher Anfangserfolge hat EAM in der Dr. Oetker-Geschäftsführung ein gutes Standing und genügend Zeit bekommen, die bis Ende 2023 mit konkreten Projekten bestückte EAM-Roadmap abzuarbeiten. Damit sollen insgesamt neun kritische EAM-Fähigkeiten und letztlich der gesamte EAM-Reifegrad verbessert werden. Dazu gehören Capabilities wie Architecture Planning, -Alignment, -Framework, -Governance und Architecture Value. Geplant sind Projekte wie eine noch bessere Prozessintegration, zum Beispiel in den Demand-Prozess, das Etablieren einer konzernweiten EAM Governance, eine EAM-Awareness-Kampagne sowie die Entwicklung von KPIs, um EAM zu messen und kontinuierlich zu verbessern.

Die Arbeit wird sicher über die bis Ende 2023 reichenden Projekte hinausgehen. Dabei wird das EAM-Team in der Bielefelder Zentrale der Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG weder seine großen Ziele aus den Augen verlieren, noch vergessen, darüber nachzudenken, welche Wechselwirkungen zwischen Unternehmensorganisation und Enterprise Architecture bestehen.

Beiersdorf: EAM als Bindeglied zwischen IT und Business

Auch beim Konsumgüterkonzern Beiersdorf ist die Enterprise Architecture im Aufbruch. Die Funktion existiert dort seit 2010. Sie war jedoch bis zum vergangenen Jahr weniger mit strategischen Aufgaben betraut, sondern in erster Linie mit Software-Evaluation. Zwar wurde auch darauf geachtet, dass die Software zum Unternehmen passt, es wurde aber wenig bereichsübergreifend gearbeitet und orchestriert. „Wir hatten wenige strategische Synergien in der IT und einen relativ geringen Beitrag von EAM im digitalen Transformationsprozess“, erklärt Melanie Czink, seit Januar 2021 Head of Enterprise Architecture. Das änderte sich, als Annette Hamann im Mai 2020 Geschäftsführerin der Beiersdorf Shared Services IT und zugleich CIO von Beiersdorf wurde. Sie positionierte das Thema EAM ganz im neuen EAM-Bewusstsein deutlich strategischer und betrachtet es als Bindeglied zwischen IT und Business.

Das Ziel steht fest: Die EA-Organisation wird daran gemessen, welchen direkten Wertbeitrag sie zur digitalen Transformation des Unternehmens liefert. Wenn man um EAM bei Beiersdorf einen Rahmen spannen wollte, dann bestünde dieser aus zwei Hauptsäulen: Erstens ein definierter Servicekatalog, der neben den klassischen Disziplinen wie Application Portfolio Management auch das Ziel hat, mittels der Methode des Capability Based Planning einen ganzheitlichen Blick auf die relevanten Geschäfts- und IT-Aspekte zu liefern. In der zweiten Säule geht es um die kontinuierliche Weiterentwicklung der Architekturdisziplin sowie die Steigerung des Wertbeitrags innerhalb der Organisation.

EA-Servicekatalog als Herzstück

Um den notwendigen strategischen Reifegrad zu erreichen, hat das EAM-Team bei Beiersdorf den Servicekatalog etabliert. Er bildat das Herzstück der EAM-Roadmap. „Unser EA-Service-Portfolio haben wir anhand eines Service Canvas entwickelt, wobei neben den Aktivitäten auch klare Metriken zur Wert- und Erfolgsmessung im Einklang mit der übergeordneten IT-Strategie unsere Reise bestimmen“, erläutert Enterprise-Architektin Czink. Dabei wird unterschieden in Foundation-, Orchestration- und Strategic-Services. Der Servicekatalog soll die praktische Anwendbarkeit von EAM unterstreichen und jedem zeigen, in welchen Bereichen EAM konkret unterstützen kann.

„Enterprise-Architektur wird sich dahin entwickeln, dass wir mit unserem Portfolio eine solide und nachhaltige Basis einer High Performing IT legen. Unser Fokus liegt darauf, dass wir einen nachweisbaren Wertbeitrag liefern und die digitale Transformation von Beiersdorf vorantreiben.“, erklärt Czink.

*Christoph Witte arbeitet als Publizist, Sprecher und Berater. 2009 gründete er mit Wittcomm eine Agentur für IT /Publishing/Kommunikation. Dort bündelt er seine Aktivitäten als Autor, Blogger, Sprecher, PR- und Kommunikationsberater. Witte hat zwei Bücher zu strategischen IT-Themen veröffentlicht und schreibt regelmäßig Beiträge für die IT- und Wirtschaftspresse. Davor arbeitete er als Chefredakteur und Herausgeber für die Computerwoche. Außerdem ist Witte Mitbegründer des CIO Magazins, als dessen Herausgeber er bis 2006 ebenfalls fungierte.


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