Wie Self-Sovereign Identity, Datenschutz und personalisierte Kauferlebnisse revolutionieren

In der analogen Welt haben Menschen stets auf physische Dokumente zur Identifizierung zurückgegriffen, beispielsweise durch offizielle Ausweispapiere oder Pässe. Diese traditionellen Identifizierungsmethoden sind jedoch nicht fälschungssicher, können verloren gehen und müssen physisch beim Besitzer getragen werden. [...]

Foto: GerdAltmann/Pixabay

In der digitalen Welt ist eine Identitätsprüfung bisher noch komplizierter: Jeder kann sich im Internet als Millionenerbe, Profisportler oder Lifestyle-Guru ausgeben, ohne dass dies leicht nachprüfbar ist. Zudem spielen Themen wie Identitätsdiebstahl und Betrug eine immer größere Rolle. Doch das soll sich in Zukunft ändern.

Die Self-Sovereign Identity

Was das Ausweisdokument in der analogen Welt ist, ist die Self-Sovereign Identity (SSI) in der digitalen Welt. Sie ermöglicht vertrauenswürdige Identitätsnachweise und das vollkommen dezentral, fälschungssicher und ohne, dass die Daten durch privatwirtschaftliche Unternehmen verwaltet werden.

Doch nicht nur zur Identifizierung sind diese SSIs nützlich, auch für den E-Commerce ergeben sich viele neue Anwendungsfälle. Denn SSIs können z.B. beliebig um persönliche Präferenzen und Interessen erweitert werden.

Welche Daten sind schützenswert?

Der Schutz personenbezogener Daten wie Geburtsdatum und Geschlecht sind unbestritten. Doch wie sieht es mit Daten zum individuellen Kaufverhalten, präferierten Farben und bevorzugten Produkten aus? Haben diese Daten denselben Schutzanspruch?

Bei der Registrierung in Onlineshops werden Kundeninformationen traditionell von den Shopanbietern und Dienstleistern für Marketing (Facebook, Google etc.) erfasst und verwaltet. Diese Praxis birgt erhebliche Datenschutzrisiken.

Kunden verlieren den Überblick und die Kontrolle über die Verwendung und den Zugriff auf ihre Daten, was sowohl ihre Privatsphäre gefährdet als auch potenzielle Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet.

SSIs im E-Commerce

In der digitalen Landschaft erfordert das Online-Shopping somit eine fortschrittlichere Datenschutzlösung, die Transparenz, Sicherheit und Kontrolle für den Verbraucher gewährleistet und gleichzeitig einen Mehrwert für die Shopbetreiber bietet. Die Lösung: Shopping-SSIs.

Shopping-SSIs sind dezentralisierte Identitätssysteme, die dem Benutzer die vollständige Kontrolle über seine persönlichen Daten und Präferenzen gewähren. Anstatt sich auf Dritte zu verlassen, werden diese Daten sicher in einem digitalen Wallet auf einem Endgerät des Benutzers, beispielsweise dem Smartphone, gespeichert. Diese Wallet dient nicht nur als Speicher, sondern auch als Schnittstelle für den Benutzer, um zu entscheiden, welche Daten er mit welchem Shop oder Unternehmen teilen möchte.

Durch den Einsatz dieser Technologie kann der Verbraucher eine Vielzahl von Daten und Präferenzen speichern: Von bisherigen Shopping-Aktivitäten, die sich aus Bestellungen und Lieferhistorien ergeben, bis hin zu spezifischen Präferenzen wie nachhaltigen Versandoptionen und Kleidergrößen.

Dieses Modell bietet nicht nur Transparenz, Sicherheit und Kontrolle für den Nutzer, sondern auch für Shopbetreiber einen wertvollen Einblick in das Verbraucherverhalten – vorausgesetzt, der Kunde entscheidet sich für die Freigabe seiner Daten. Damit wird eine Win-Win-Situation geschaffen, bei der Datenschutz und Umsatzsteigerung Hand in Hand gehen.

Klarheit in der Komplexität

Die Daten aus den SSIs müssen im Wallet übersichtlich präsentiert werden und die Präferenzen müssen intuitiv bearbeitbar sein. Der Nutzer hat jederzeit die Freiheit diese Präferenzen zu modifizieren oder zu löschen.

In einem Pilotprojekt (SDI4ECom) arbeitet PIA ECONDA aktuell, in Zusammenarbeit mit dem FZI Forschungszentrum Informatik, der Hochschule Offenburg und PIA UDG, an der Realisierung eines ersten Shopping-SSI-Wallets – das Projekt wird vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg gefördert.

Self-Sovereign Identity: Mehrwert für Shopbetreiber

Durch die Integration von SSI-Wallets können Shopbetreiber Analysen des Kundenverhaltens bereits beim ersten Kundenbesuch durchführen. Ein fundiertes Wissen über die Vorlieben der Kunden bietet Shopbetreibern die Möglichkeit, ihre Produktangebote zu optimieren.

Dies resultiert nicht nur in einer höheren Conversion Rate für Erstbesucher, sondern auch in einer verstärkten Kundentreue, einer Zunahme des durchschnittlichen Bestellwertes und einer Steigerung des Gesamtumsatzes.

Wie könnte die Nutzung von SSIs für Shopbetreiber aussehen?

Betrachten wir ein konkretes Beispiel, um die Potenziale einer SSI im E-Commerce zu beleuchten.

Felix Müller, ein passionierter Online-Shopper, hat im Laufe der Zeit durch sein Such- und Konsumverhalten verschiedene Präferenzen in seiner SSI angesammelt: 45 Jahre, Italien ist sein bevorzugtes Urlaubsziel, er hat eine Vorliebe für Premium-Lebensmittel und eine Tendenz, Weine aus der Toskana zu kaufen.

Beim Besuch auf der Webseite eines renommierten Feinkosthändlers wird ihm die Option angeboten, seine Shopping-SSI freizugeben. Felix gibt sein Einverständnis und der Händler erhält Einsicht in die relevanten Präferenzen. Dies ermöglicht es dem Händler, gezielte und maßgeschneiderte Produktempfehlungen abzugeben – und das bereits bei Felix‘ erstem Website-Besuch.

Entsprechend werden ihm keine Weine aus Frankreich, sondern exklusive toskanische Weine und Lebensmittel aus dem Premium-Segment präsentiert. Dank dieser personalisierten Ansprache füllt Felix seinen Warenkorb mit den vorgestellten Produkten und wird in Zukunft zu einem umsatzstarken Kunden des Händlers.

Self-Sovereign Identity für Nicht-Winzer
Doch auch Nicht-Winzer können von einer SSI profitieren. (Foto: Vinotecarium/Pixabay)

Ein Gewinn für beide Seiten

Felix profitiert nicht nur von der Datensouveränität durch seine SSI – er teilt nur die Informationen, die er freigeben möchte –, sondern auch vom personalisierten Shopping-Erlebnis, das exakt auf seine Vorlieben zugeschnitten ist.

Für den Shopbetreiber bietet die freiwillige Datenfreigabe über die SSI einen klaren und rechtlich abgesicherten Rahmen für die Datenanalyse, wodurch zusätzliche Datenschutzbedenken hinsichtlich der Produktempfehlungen hinfällig sind.

Self-Sovereign Identity: Welche Hürden gibt es?

Die Implementierung individueller Angebote für Shopbesucher, basierend auf deren SSIs, erfordert spezialisierte Software-Lösungen, die Shopbetreiber bei entsprechenden Dienstleistern erwerben können. Ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche und sichere Nutzung digitaler Identitäten ist jedoch die Akzeptanz und Verbreitung von SSI-Wallets. Hierfür ist es essenziell, verbindliche Standards für die Integration mit diesen Wallets zu etablieren.

Die Potenziale, die SSIs sowohl für Käufer als auch für Shopbetreiber bieten, sind vielfältig. Vorausgesetzt, die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen werden geschaffen, könnten sie Online-Shopping durch mehr Transparenz, Sicherheit und Autonomie für den Verbraucher revolutionieren.

*Dr. Philipp Sorg ist Chief Technology Officer bei PIA ECONDA, dem Karlsruher Experten für Webanalyse und Personalisierung. Er promovierte am Karlsruher Institut für Technologie mit den Schwerpunkten maschinelles Lernen und semantische Technologien. Dr. Sorg verantwortet die Entwicklung der PIA ECONDA Produkte.

powered by www.it-daily.net


Mehr Artikel

News

Schulungsbedarf in den Bereichen KI, Cybersecurity und Cloud

Der IT Skills & Salary Report 2024 unterstreicht den wachsenden Bedarf an Weiterbildung und Umschulung von Arbeitskräften, um mit dem technologischen Fortschritt Schritt zu halten. Künstliche Intelligenz steht bei Entscheidungsträgern ganz oben auf der Liste der Investitionsschwerpunkte, da hier die Team-Kompetenzen am niedrigsten eingestuft werden. […]

News

KI-gestützte Effizienzoptimierung im Lager

Die österreichische TeDaLoS GmbH, Anbieter von smarten Lagerstandsüberwachungssystemen, hat ein Kapital-Investment erhalten, mit dem das Unternehmen eine beschleunigte internationale Expansion und den Ausbau von KI-gestützten Lösungen zur Optimierung der Materialbewirtschaftung vorantreiben will. […]

Helmut Reich, Managing Director proALPHA Software Austria (c) Erich Reismann
Interview

ERP auf dem Weg zum Digital Twin

Die in einem ERP-System hinterlegten Daten spiegeln in der Regel die Wirklichkeit nur bedingt wider. Mit Hilfe der künstlichen Intelligenz soll sich das bald ändern. proALPHA entwickelt seine Kernapplikation im Zusammenspiel mit seiner schnell wachsenden ERP+-Familie in Richtung eines Digital Twin weiter. Das Ziel: die 1:1-Abbildung der realen Wirtschaftswelt. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*