Der Mitarbeiter ist das höchste Gut

Der pandemiebedingte Digitalisierungsschub veränderte das Personalwesen. Im COMPUTERWELT-Roundtable diskutieren Experten, was der verstärkte Einsatz der IT – angefangen vom Recruiting bis zur Pflege der Beziehung zu den eigenen Mitarbeitern – bedeutet und wie man die Employee Experience verbessern kann. [...]

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Gerhard Raffling, Johannes Kreiner, Michael Homole, Thomas Gappmayr, Martin Daniel (stehend) und Valerie Ferencic, Christine Wahlmüller (sitzend). (c) timeline/Rudi Handl

Moderatorin Christine Wahlmüller eröffnet die Diskussion indem sie direkt zu dem Zeitpunkt zurückführt, der unser aller Leben bis heute verändert hat: der 16. März 2020, als die österreichische Bundesregierung den ersten bundesweiten Lockdown verordnete und sich Wirtschaftstreibende aller Art über Nacht auf völlig veränderte Rahmenbedingungen umstellen mussten. Gefragt waren rasches Reagieren und jede Menge an Kreativität, um diese Zeit überbrücken zu können und gleichzeitig für die Zukunft gerüstet zu sein. Dank eines starken Ausbaus der Informatiosntechnologie und des Einsatzes von Kommunikationstools wie Videokonferenzen konnte der tägliche Geschäftsbetrieb auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Home Office aufrecht erhalten werden. Doch welche Auswirkungen hatte dieser Digitalisierungsschub auf das Personalwesen und die gelebte Employee Experience?

Disruptiver Digitalisierungsschub

»Oft wird in IT und Wirtschaft etwas leichtfertig von disruptiven Eregnissen gesprochen, doch was Disruption tatsächlich ist«, stellt Johannes Kreiner, Geschäftsführer SAGE DPW Austria, die Bedeutung des ersten COVID-19-Lockdowns klar, »haben wir vor eineinhalb Jahren am 16. März 2020 erfahren, als wir alle unsere Büros verlassen haben, die Betriebe geschlossen wurden und wir nicht wie gewohnt weiter arbeiten konnten.« Im Großen und Ganzen bringt Kreiner die Erfahrungen der meisten Wirtschaftstreibenden auf den Punkt, wenn er sagt: »Aufgrund der plötzlichen Veränderung mussten wir uns als Unternehmen neu erfinden. Diese Situation führte nach einer ersten Schockstarre zu einem starken Ruf nach Digitalisierung, zu einem Ruf nach mehr und besserer Employee Experience. Denn plötzlich mussten wir – Führungskräfte wie auch Mitarbeiter – aus der Ferne miteinander zusammenarbeiten. Den Umgang mit den neuen Rahmenbedingungen zu lernen, war definitiv nicht nur bei unseren Kunden ein Thema, sondern auch etwas, das wir selbst bei uns im Unternehmen erlebten.«

Dem pflichtet Michael Homole, Geschäftsführer von HR-Force, bei, verweist aber darauf, dass es Unternehmen aus der Wissensbranche, wie es auch das seine sei, leichter bei der Umstellung gehabt hätten: »Unser Vorteil war, dass die meisten Mitarbeiter es gewohnt waren, nicht ins Büro kommen zu müssen.« Nachsatz: »Aber unsere Kunden waren noch nicht so weit.« Bei manchen Unternehmen dauerte es zwei bis drei Wochen, bis diese ihre VPN-Lizenzen und Mitarbeiter-Notebooks beisammen hatten.

Jedenfalls sei es in solch disruptiven Situationen besonders wichtig, weiterhin mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Kontakt zu bleiben und so auch die neuen Herausforderungen zu kennen und meistern, wirft Gerhard Raffling, VP & Country Manager Medallia, ein. Die Frage, die sich Unternehmern dabei stellt, ist: »Wie und über welche Kanäle bekommt man die richtigen Informationen von Mitarbeitern, egal, ob sie remote oder im Büro arbeiten. Wie analysiert man diese Signale in Echtzeit, um rasch reagieren zu können und welche Maßnahmen setzt man als Unternehmen letztendlich, um Mitarbeiter auch unter schwierigen Bedingungen zu begeistern, zu motivieren und langfristig zu binden?« Es seien genau diese Fragen, bei denen der Experience-Management-Spezialist Medallia seine Kunden unterstütze und auf eine über zwanzigjährige Erfahrung zurückblicken könne.

Durch die veränderte Arbeitssituation stellen sich Mitarbeiter genau dieselben Fragen wie das Management, weiß Raffling und nennt als Beispiele Fragen wie »Wird sich diese Arbeitsweise wieder ändern oder bleibt das so?«, »Bin ich zufrieden mit der aktuellen Situation?«, »Wann kehrt die alte Normalität ein?«, »Ist mein Arbeitsplatz sicher?«. Natürlich gebe es auch einen engen Zusammenhang zwischen der Digitalisierung und den sehr schnell eingeführten digitalen Diensten wie Web-Conference und Co. Hier stelle sich die Frage, so der Medallia Country Manager, ob die Digitalisierung die eigene Arbeit unterstütze oder ob sie ein weiterer Treiber für Frustration sei?

Thomas Gappmayr, Head of HR bei Konica Minolta, ergänzt mit einem Blick auf Fachkräftemangel und »War for Talents«, dass das Thema Employee Experience durchaus auch von der Employer-Branding-Perspektive gesehen werden könne. Als Unternehmen müsse man die »moments that matter« erkennen, um damit mittels der entsprechenden Employee Experience zufriedene Mitarbeiter zu schaffen, die auch an verlockenden Abwerbungsversuchen anderer IT-Unternehmen kein Interesse zeigen. Für Gappmayr geht es bei dem Thema Employee Experience »um den kulturellen Hintergrund im Unternehmen, sehr stark um Einführung und auch um eine Digitalisierung von Feedbackkultur. Da geht es ferner um Vision Mission, sodass die Mitarbeiter wissen, in welche Richtung das Unternehmen geht.« 

Bei Konica Minolte habe man die Krise genutzt, um die eigene Strategie diesbezüglich nachzuschärfen, so Gappmayr. Ging es zunächst darum die technischen Arbeitsbedingungen und die IT-Infrastruktur zu schaffen, inklusive der modernen Kommunikationstools, ohne die man in der Pandemie nicht überlebt hätte, müsse man jetzt darauf achten, ob diese Rahmenbedingungen, diese IT-Systeme ein gutes Gefühl, eine gute Experience bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen erzeugten und wo es Nachbesserungen bedürfe. Eine gute Arbeitsumgebung zu schaffen, sei ein weiterer wesentlicher Punkt – die Bedürfnisse der Mitarbeiter erkennen, um sie wieder ins Büro zu bringen. Denn, so Gappmayr: »Es nützt nichts, ein schönes Office zu haben und keiner geht hin!«

Employee Experience ist Chefsache

Gerhard Raffling verweist auf eine aktuelle Medallia-Studie, die den Unterschied zwischen Vorreitern und Nachzüglern im Bereich Employee Experience herausarbeitet. Dabei zeigt sich, dass 93 Prozent der Vorreiter Employee Experience in der Geschäftsstrategie verankern und einen eigenen Verantwortungsbereich schaffen mit dem Ziel, Silos aufzubrechen und unternehmensübergreifend zu agieren. »Sie gehen weg von zyklischen Befragungen«, so Raffling, »hin zur laufenden Möglichkeit Feedback zu geben.« Dieses Feedback erfolgt möglichst über unterschiedliche Kanäle wie E-Mail, Web, App oder Collaboration-Plattformen, wobei den Mitarbeitern wiederum diverse Optionen, wie Text, Sprache oder Video zur Verfügung stünden. »Nur so erhält man ein permanentes Stimmungsbild und kann rasch reagieren«, ist Raffling überzeugt.

Auch nach Ansicht von Johannes Kreiner muss Employee Experience von der Geschäftsführung mitgetragen werden, wobei Authentizität im Handeln – egal ob digital oder analog – eine große Rolle spiele. »Wenn man die Employee Experience verbessern und eine tragfähige Corporate Culture einführen und aufbauen will, muss das Senior Management unbedingt mit eingebunden sein. Dies ist definitiv eine Aufgabe, die bis in die oberste Führungsebene hineinreicht und auch von dort aus direkt gesteuert werden muss. Die Initiative dafür muss ebenfalls direkt aus der obersten Führungsebene kommen.« Raffling ist sich sicher: »Wenn Employee Experience vom Senior Management nicht aktiv gelebt, sondern nur delegiert wird, dann wird das nicht funktionieren.«

Dass bei dem Produzenten von Kinderfahrrädern, woom, das People-First-Prinzip der Geschäftsführung top down verankert ist, findet Valerie Ferencic, Head of Global Employee Experience bei woom, als sehr gut. Dort ging man in Sachen Employee Experience noch einen Schritt weiter und benannte um Ostern dieses Jahres die HR-Abteilung in Employee Experience um. »Das ist tatsächlich ein Mindshift, der unsere Herangehensweise sehr verändert. Wir sehen uns jetzt noch mehr als Service- und Supportteam für all unsere woomster«, sagt Ferencic, die vor drei Jahren, als sie bei woom angefangen hat, die Personalabteilung mit aufbaute. »Natürlich braucht es die transaktionale HR-Arbeit, ohne die geht es nicht «, ist Ferencic überzeugt. Es müsse Strukturen geben, man müsse Verträge machen, Zeitaufzeichnungen führen und rechtliche Rahmenbedingungen beachten. Trotzdem mache die Umbenennung einen Unterschied und sei das Tüpfelchen auf dem i: »Wir verstehen unsere Rolle so, dass wir da sind, um den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die bestmögliche Wachstumsmöglichkeit, Entwicklungsmöglichkeit, den besten Alltag, also eine gute Erfahrung bei uns im Unternehmen, beim Arbeiten zu ermöglichen – und das ist doch noch einmal etwas anderes als quasi nur – ohne das jetzt kleinreden zu wollen – diese transaktionale HR-Arbeit.«

Bei woom gibt es jetzt eine »eigene Experience-Abteilung mit einer Global Director Experience, die wieder den Bereichen Customer Experience, Employee Experience und Office Experience vorsteht«, erklärt Ferencic die Struktur. Das sei eine Abteilung, die auch etwas bewegen kann: »Das sind insgesamt 30 Leute, da ist wirklich auch Power dahinter.« Doch auch hier gilt, ist Ferencic überzeugt, dass diese Abteilung natürlich nur getragen werden könne, wenn die Geschäftsführung voll dahinter stehe. »Nur wenn das wirklich verinnerlicht wird, nur dann kann man das authentisch leben.«

Feedback und Unternehmenskultur

Um zu wissen, was die Mitarbeiter wollen, bedürfe es einer entsprechenden Unternehmenskultur, die die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über ihre Wünsche und Bedürfnisse befragt, darin sind sich alle Diskutanten einig. Auch für Michael Homole ist es wichtig, eine entsprechende Unternehmenskultur zu haben, doch bemerke er, dass viele Unternehmen im Unklaren über ihre Unternehmenskultur sind und gar nicht wissen, ob und wie sie diese steuern können. Welche Unternehmenskultur die beste sei, könne man nicht sagen, es komme immer auf das Unternehmen an, ob es sich beispielsweise um ein Industrieunternehmen oder einen Wissensmanagementbetrieb handle.

Feedback ist also wichtig und kann dank modernen Technik regelmäßig durchgeführt werden. Martin Daniel, Community Manager bei Peakon (ein Unternehmen von Workday) sieht sogar dank Digitalisierung und Automatisierung einen Trend in Richtung »Continuous Listening«, wobei regelmäßig Feedback erfragt wird, um näher an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sein, möglichst schnell entsprechende Maßnahmen zu etablieren und ihnen so das Gefühl zu geben, dass ihr Feedback auch gehört und ernst genommen wird.« Die Umsetzung der aus Umfragen gewonnen Erkenntnisse sei das Allerwichtigste, pflichtet auch Homole bei, denn »Umfragen zählen nichts, wenn ich nichts damit mache.«

Zwar unterscheiden sich die Bedürfnisse und Wünsche von unternehmen zu Unternehmen, doch im von Peakon herausgegebenen Employee Expectations Report 2021, der auf der Auswertung von 150 Millionen Mitarbeiterbefragungen beruht, lassen sich laut Martin Daniel vier Employee Expectations festmachen, die da wären: der Wunsch nach Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung oder des Arbeitsortes sowie Sustainability beziehungsweise nachhaltiges Wirtschaften seitens des Arbeitgebers. Auch das Thema Wohlbefinden spiele in die Employee Experience mit hinein. »Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich nicht nur physisch wohl fühlen und gesund sein. Home Office und hybrides Arbeiten werden nicht verschwinden. Themen wie mentales Wohlbefinden haben an Bedeutung gewonnen. Studien belegen, dass das digitale ›Always-on‹ und Remote-Arbeit zu mentalen Belastungen führen, wenn man gewisse Regeln nicht etabliert.« Zudem sieht Daniel noch Trends, die aus der Gesellschaft in die Arbeitswelt übertragen werden, wie »Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion und das Gefühl zu erleben, die Stimme erheben zu können.«

Hier verweist Daniel auf die Tatsache, dass zunehmend Millennials in den Arbeitsmarkt dringen, diese aber andere Ansprüche und Erwartungen an ihre Arbeitgeber hätten als die vorangehenden Generationen. »Dem müssen Unternehmen gerecht werden«, sagt Daniel und verweist wiederum auf das Einholen von regelmäßigem Feedback. Solcherart könne letztendlich sehr schnell, fast schon in Echtzeit, von Unternehmensseite reagiert werden. So gelange man von einer reaktiven Position in eine Position, in der man proaktiv das Arbeitsumfeld gestalten könne.

Auch Thomas Gappmayr beobachtet eine sehr hohe Erwartungshaltung hinsichtlich Flexibilität, insbesondere bei jüngeren Mitarbeitern. Deswegen habe Konca Minolta während der Pandemie ein unlimitiertes Mobile Working implementiert. »Diese Vertrauenskultur hat sich während der Pandemie bewährt«, sagt Gappmayr und werde deswegen fortgesetzt. 

Ohne IT geht es nicht, aber …

Einig sind sich alle, dass IT die Basis für gute Employee Experience bildet. »Ein Personal-, HRIS- oder Zeiterfassungstool wird es einfach brauchen«, sagt Valerie Ferencic, dennoch dürfe der persönliche Austausch nicht zu stark verloren gehen. »Nicht immer ein Zoom-, Google- oder Teams-Meeting ausmachen, sondern ganz banal zum Hörer greifen und einmal anrufen«, empfiehlt Ferencic. Das sei manchmal schneller und tue auch sehr gut.

Auch Johannes Kreiner sieht IT als entscheidend an. Er erachtet jedoch die Gefahr einer Reizüberflutung als sehr groß, wenn man auf zu viele verschiedene Kanäle setzt, weswegen es besser sei, auf einige ausgewählte interne Kanäle zu fokussieren und eine klare Strategie für die Mitarbeiterkommunikation zu entwickeln.

Wie wichtig Employee Experience ist, zeigt allein die Tatsache, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen das höchste Gut eines Unternehmen sind. »Wir leben von unseren Mitarbeitern, wir leben von ihrer Arbeitskraft. Jeder Mitarbeiter repräsentiert das Unternehmen«, fasst es Michael Homole zusammen.Gerhardf Raffling verweist auf den Zusammenhang zwischen Customer Experience Management, Employee Experience Management und Unternehmenserfolg, wenn er sagt: » Begeisterte Mitarbeiter begeistern auch Kunden und wirken sich positiv auf das Image des Unternehmens aus. Es wird somit einfacher, die besten Talente für sein Unternehmen zu gewinnen und langfristig zu binden. Eine echte Win-Win-Situation.«


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