Die Welt der ERP-katastrophen

Kein Wunder, dass ERP-Einführungen nicht den besten Ruf haben. Der Markt für Unternehmenssoftware ist voll von Geschichten über Schlammschlachten, überzogene Hoffnungen und epische Fehler. [...]

Selbst kleine Fehler können einen Sturm entfachen, wenn sie gleichzeitig auftreten. (c) alphaspirit/AdobeStock

Da ERP-Anwendungen im Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit vieler Unternehmen stehen, können die Folgen eines fehlgeschlagenen Software-Rollouts schwerwiegend sein – einschließlich Aktionärsklagen und Finanzkrise. Hier ein paar Beispiele aus der Welt der ERP-Katastrophen, aus denen die eine oder andere Lehre zu ziehen ist.

Leaseplan

Nach einem zunächst erfolgreichen SAP-Einsatz bei seiner australischen Tochtergesellschaft beauftragte das Fahrzeugmanagementunternehmen Leaseplan im Jahr 2016 HCL Technologies mit der Entwicklung eines neuen SAP-basierten Core-Leasing-Systems (CLS), das das Herzstück der digitalen Transformation des Konzerns in 32 Ländern bilden sollte.
Im 2019 gab Leaseplan das CLS-Vorhaben nach zahlreichen Schwierigkeiten auf und schrieb Projektkosten in Höhe von 92 Mio. Euro und damit verbundene Restrukturierungs- und Beratungsgebühren in Millionenhöhe ab. Nur 14 Millionen Euro für separat entwickelte IT-Module konnten gerettet werden, von denen erwartet wurde, dass sie in Zukunft wirtschaftliche Vorteile bringen würden. Das Problem, so die Anmerkungen zu den Ergebnissen des zweiten Quartals, war, dass CLS »in der aufstrebenden digitalen Welt nicht zweckmäßig sein würde«. Der monolithische Charakter des SAP-Systems »behinderte seine Fähigkeit, in einer Zeit des beschleunigten technologischen Wandels schrittweise Produkt- und Serviceverbesserungen vorzunehmen«, so Leaseplan.

MillerCoors

Im Jahr 2014 beauftragte der US-Brauereigigant MillerCoors das indische IT-Dienstleistungsunternehmen HCL Technologies mit der Einführung einer einheitlichen SAP-Implementierung für das gesamte Unternehmen. Die Dinge liefen nicht reibungslos: Der erste Rollout war gekennzeichnet durch acht »kritische« Fehler, 47 schwere Fehler und Tausende zusätzlicher Probleme. Im März 2017 war das Projekt so verfahren, dass MillerCoors HCL wegen 100 Millionen US-Dollar verklagte und behauptete, HCL habe das Projekt nicht ausreichend besetzt und seine Versprechen nicht eingehalten. Das IT-Dienstleistungsunternehmen ließ sich das nicht gefallen: Im Juni 2017 konterte HCL mit der Behauptung, MillerCoors habe HCL im Wesentlichen für seine eigenen Managementfehler verantwortlich gemacht, die laut HCL die eigentliche Ursache für den fatalen Verlauf waren. Externe Beobachter stellten fest, dass der allgemeine Dienstleistungsvertrag zwischen den beiden Unternehmen viel Raum für Fehler ließ.

Revlon

Nach einer Fusion mit Elizabeth Arden im Jahr 2016 musste der Kosmetikriese Revlon seine Prozesse über Geschäftsbereiche hinweg integrieren. Beide Unternehmen hatten in der Vergangenheit positive Erfahrungen mit ERP-Rollouts gemacht. Elizabeth Arden mit Oracle Fusion Applications und Revlon mit Microsoft Dynamics AX. Das fusionierte Unternehmen traf jedoch die schicksalhafte Entscheidung, mit SAP HANA eine neue Lösung zu integrieren.
Die Folge eines katastrophalen Rollouts war, dass Revlons eigene Produktionsstätte in North Carolina im Wesentlichen quasi sabotiert wurde, was zu Umsatzverlusten in Millionenhöhe führte. Das Unternehmen machte »das Fehlen und die Aufrechterhaltung wirksamer Kontrollen im Zusammenhang mit der Implementierung« für das Fiasko im März 2019 verantwortlich und stellte fest, dass »diese ERP-bedingten Störungen« unter anderem zu unerwarteten Kosten und zu einem Verlust des Kundenvertrauens führten. Der Fehlschlag stürzte die Revlon-Aktie in eine Krise, die wiederum darin gipfelte, dass die eigenen Aktionäre klagten.

LIDL

Die deutsche Lebensmittelkette Lidl und SAP begannen 2011, Lidls in die Jahre gekommenes Inventarsystem zu überarbeiten. Im Jahr 2018 verschrottete der Supermarktgigant das Projekt, nachdem er fast 500 Millionen Euro ausgegeben hatte.
Was war geschehen? Man munkelte, dass die Probleme auf eine Eigenart bei Lidl zurückzuführen waren: Lidl stützt ihre Inventarsysteme stets auf den Preis, den es für Waren zahlt, während die meisten anderen Unternehmen ihre Systeme auf den Einzelhandelspreis aufbauen, für den sie die Waren verkaufen. Lidl wollte seine Vorgehensweise nicht ändern, daher musste das ERP angepasst werden, was eine Kaskade von Implementierungsproblemen auslöste.

Woolworth‘s Australia

Der australische Außenposten der ehrwürdigen Kaufhauskette stieß auf datenbezogene Probleme, als er von einem vor 30 Jahren intern gebauten System zu SAP überging. Eine der größten Krisen war, dass auf einzelne Filialen zugeschnittene Gewinn- und Verlustberichte, die Manager jede Woche zu erhalten pflegten, fast 18 Monate lang nicht erstellt werden konnten.
Das Problem lag in der Änderung der Datenerfassungsverfahren, aber die Hauptursache war ein Versagen des Unternehmens, seine eigenen Prozesse vollständig zu verstehen. Die täglichen Geschäftsabläufe wurden nicht ordnungsgemäß dokumentiert, und als leitende Angestellte das Unternehmen während des sechsjährigen Übergangsprozesses verließen, ging viel unternehmensinternes Wissen verloren.

Target Kanada

Viele Unternehmen, die ERP-Systeme einführen, haben Probleme beim Importieren von Daten aus Legacy-Systemen. Als Target 2013 in Kanada eingeführt wurde, gingen man jedoch davon aus, dass dieses Problem vermieden werden konnte: Es müssten keine Daten konvertiert, sondern nur neue Informationen in das SAP-System eingegeben werden.
Beim Start brach die Lieferkette des Unternehmens zusammen. Schnell fand man den Grund: Die neuen Daten waren voller Fehler. Artikel wurden mit falschen Abmessungen, Preisen oder Herstellern versehen. Es stellte sich heraus, dass Tausende von Einträgen von jungen Mitarbeitern ohne Erfahrung von Hand in das System eingegeben wurden. Dazu kamen äußerst enge Fristen. Eine Untersuchung ergab, dass nur etwa 30 Prozent der Daten im System tatsächlich korrekt waren.

HP Nordamerika

Die epische Geschichte der Zentralisierung der unterschiedlichen nordamerikanischen ERP-Systeme von HP auf ein SAP-System zeigt, dass man beim ERP-Projektmanagement niemals zu pessimistisch sein kann. Im Jahr 2004 wussten die Projektmanager von HP alles, was bei der Einführung von ERP schief gehen konnte. Aber sie hatten einfach nicht geplant, dass so viel auf einmal passieren würde.
Das Projekt kostete schließlich 160 Millionen US-Dollar an Auftragsbeständen und Umsatzverlusten – mehr als das Fünffache der geschätzten Projektkosten. Gilles Bouchard, damaliger CIO der weltweiten HP-Aktivitäten, sagt: »Wir hatten eine Reihe kleiner Probleme, von denen keines einzeln zu viel gewesen wäre. Aber zusammen haben sie den perfekten Sturm geschaffen.«
Die wenigen Beispiele zeigen sehr deutlich: Die Einführung eines neuen ERP-Systems kann selbst Marktgrößen ins Wanken bringen.


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