Das digitale Kundenerlebnis ist aus keiner Unternehmensstrategie mehr wegzudenken und wurde durch die Pandemie weiter befeuert – vor allem im B2B-Bereich. Wie eine moderne Kundenstrategie aussehen könnte, stand im Mittelpunkt eines COMPUTERWELT Roundtables zum Thema Customer Experience Management. [...]
In den letzten beiden Jahren mussten Unternehmen rasch lernen, Kunden auf unterschiedlichen Wegen zu betreuen. In den Mittelpunkt rückte dabei die Tchnologie, die neue Kanäle ermöglicht, die im B2C-Bereich teilweise schon genutzt werden. Moderator Christof Baumgartner stellte einleitend die Frage, wie sich das Thema Digitalisierung der Customer Experience während der Pandemie im B2B-Bereich ausgewirkt hat. „Was wir in der Pandemie gelernt haben ist, dass es für die unterschiedlichen Herausforderungen Technologien gibt, um diese zu lösen. Was wir heute überlegen müssen ist, wie man eine Data Driven Company wird. Hier hat sich in den letzten zwei Jahren eine unglaubliche Dynamik ergeben“, sagt dazu Thomas Ziegler, Chief Customer Officer bei NETCONOMY, und: „Am B2C-Markt denkt man darüber nach, wie man das Kundenerlebnis auswerten kann, wo ich den Kunden abholen kann. Jetzt hat man im B2B-Bereich gesehen, dass der Kunde, der daheim am Laptop sitzt und ein Konsumgut bestellt, derselbe ist, der am nächsten Tag 5.000 Meter Stahl oder 18 Autos bestellt. Das heißt wir brauchen eine andere Interaktion mit dem B2B-Kunden. Die Pandemie war dafür ein Beschleuniger. Man muss von zu Hause aus Privates und gleichzeitig auch seinen Beruf regeln.“
Dem stimmt Ferdinand Kaiser, Mitglied der Geschäftsleitung der NAVAX Unternehmensgruppe und zuständig für den Bereich Customer Experience (CX), zu: „Vor fünf Jahren hätten wir es uns nur schwer vorstellen können, dass man auch für Sales-Themen vorrangig Online-Meetings abhält. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass das jetzt geht. Wir haben in den letzten zwei Jahren auch Projekte teilweise ausschließlich online realisiert, was vorher undenkbar oder zumindest nur schwer vorstellbar war. Man hat auch realisiert, dass die Entscheidungsfindung in B2B-Prozessen denen von B2C gleichen. Die Entscheider sind dieselben und sie treffen emotionale Entscheidungen und begründen sie im Nachhinein logisch.“
Gerenzen zwischen B2C und B2B verschwimmen
Michael Obermaier, bei SAS in der Region Deutschland-Österreich-Schweiz für den Bereich Customer Experience Practice verantwortlich ergänzte, dass „sich aber allein aufgrund der Demographie die Trends grundsätzlich schon sehr stark in Richtung mobile first, digitale Kommunikationskanäle und ein höheres Maß an Autonomie bzw. Selfservice und No-human-interaction abgezeichnet haben. Wenn man so will, war da ohnehin schon ein massiver Digitalisierungs-Rückstau vorhanden und die Pandemie dafür lediglich ein Brandbeschleuniger, der aber viele Unternehmen eiskalt erwischt hat.“ Spannend sei dabei, „dass die Pandemie die Grenzen zwischen privat und beruflich verschwimmen ließ. In weiterer Folge hat das dazu geführt, dass auch beim Thema Customer Experience die Erwartungshaltungen verschwimmen. Der Kunde möchte jetzt sowohl im B2C-, als auch im B2B-Bereich ein reibungsloses Kundenerlebnis haben. Die Unterschiede sind meiner Meinung gar nicht so groß, aber B2B-Unternehmen sind bei der Digitalisierung in diesem Bereich ein Stück weit hinten nach.“
„Die Maßstäbe sind bei B2B- und B2C-Kunden gleich, was zum Beispiel die Einfachheit betrifft, wie ich mit dem Unternehmen oder mit dem Partner in Interaktion treten kann“, so Ferdinand Kaiser, und: „Unternehmen müssen diese Möglichkeiten der Interaktion bieten und auch die Art und Weise wie mich der Kunde wahrnimmt muss so gut wie möglich gestaltet werden. Preis und Qualität sind Themen, die wettbewerbsmäßig bereits stark umkämpft sind aber das Erlebnis und welcher Service dahinter geboten wird, ist etwas wo ich mich als Unternehmen nach wie vor vom Markt abheben kann. Das ist ein Bereich, in dem ich nach wie vor Energie aufwenden kann, um mich als Unternehmen besser zu platzieren.“
Thomas Ziegler: „Wenn man als Unternehmen den Preiskampf gewinnt, ist der Kunde zwar einmal da, aber er verlässt einen auch schnell wieder, wenn die Erfahrung nicht stimmt. Sowohl in B2B, als auch in B2C sagen zwischen 70 und 90 Prozent der Nutzer, dass sie gerne mehr bezahlen, wenn die Erfahrung stimmt. Das setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Einerseits wie einfach war es, dass ich meine Ware bekommen habe bzw. mein Bedürfnis befriedigen konnte und der zweite Aspekt betrifft die Logistik dahinter. Das heißt wenn man den Verbund von Bestellung über Logistik und auch die Information bieten kann, dann ist das für den Kunden das optimale Erlebnis. Was ein Kunde nicht leiden kann ist, wenn es zu einer Verspätung kommt. Er will das in dem Moment wissen, in dem ich es als Lieferant weiß. Es kann zu Verzögerungen kommen, aber die Information dazu ist wichtig. Die gesamte Lieferkette ist mittlerweile eine Informationskette. Nicht umsonst denkt man auch über Blockchain nach.“
Veränderte Kundenkommunikation
Während der Pandemie hat sich auch das Kommunikationsverhalten der Kunden verändert. Michael Obermaier zitiert aus einer aktuellen Studie von McKinsey, die besagt, dass „zwei Drittel der Befragten B2B-Käufer eine Remote-Interaktion bzw. Selfservice einer traditionellen also vor Ort stattfindenden Interaktion vorziehen. Das heißt, der klassische physische Kontakt ist gar nicht so sehr gewünscht. Es kommt dabei natürlich auf die Komplexität der Transaktion an, aber daran sieht man die Verschiebung. Und man sieht auch, dass viele Unternehmen durch die Pandemie diese Verschiebung in ihrer Go-to-Market-Strategie entsprechend umgesetzt haben – sowohl personell, als auch organisatorisch und technologisch. Über 90 Prozent der befragten B2B-Unternehmen, die ihren Go-to-Market-Ansatz angepasst haben, geben an, dass dieser mindestens genauso oder sogar effektiver sei, als vor der Pandemie und sie fühlen sich damit auch für die Zukunft gut aufgestellt. Wenn wir also davon ausgehen, dass B2B-Käufer mittlerweile bis zu 10 unterschiedliche Kanäle in ihrer Interaktion mit Anbietern nutzen, würde ich behaupten, dass die Unterschiede zu B2C verschwindend gering geworden sind. 65 bis 70 Prozent der Kaufentscheidung läuft heute ohne Verkäuferkontakt ab.“
Weniger persönliche Interaktion
Ferdinand Kaiser fügt hinzu: „Der Kunde informiert sich vorab und recherchiert und will nicht gleich direkt in Interaktion treten. Das heißt, der gesamte Informationszyklus verlängert sich. Und der eigentliche Teil, in dem der Kunde mit dem Unternehmen in direkte Interaktion tritt, wird kürzer. Hier ist es wichtig, dass genau diese ersten Berührungspunkte so gestaltet sind, dass sie den Kunden von mir überzeugen. Wenn ich online nicht präsent oder nicht auffindbar bin, dann ist dieser erste Teil schon verloren. Das heißt für uns in der Customer Experience ist es wichtig zu erkennen wo die Problemstellen sind und wie ich sie löse.“
Data Driven Company
„Unternehmen brauchen beim Thema CX jetzt sehr schnell sehr fokussierte Hilfen“, meinte Thomas Ziegler und dabei spielen Daten und Plattformen eine wichtige Rolle: „Manche Unternehmen sind bereits extrem gut aufgestellt und entwickeln ihre Plattform gemeinsam mit den Kunden global weiter. Dazu braucht es aber Daten. Im Prinzip heißt das, dass der Kunde aus einem gemeinsamen Aspekt heraus, nämlich das Produkt besser zu machen, seine Daten zur Verfügung stellt. Daraus kann ich meine Produktpalette so aufbauen, dass sie für jeden Kunden, den ich habe, perfekt passt. Dort muss man ansetzen.“
Es gebe zwei Arten von Daten, so Thomas Ziegler weiter: „Einerseits die statischen Daten wie Name, Adresse etc. und die Interaktionsdaten. Also wie tritt der Kunde mit dem Unternehmen in Kontakt und was tut er genau. Diese Daten sind heutzutage alle greifbar und verfügbar, man muss sie nur verarbeiten. Wenn man Unternehmen fragt, wie viele Daten sie haben, dann antworten sie „300 Terabyte“. Und wenn man fragt, was sie damit machen, dann ist die Antwort „wir speichern sie“, also machen sie nichts damit. Die Daten liegen oft in verschiedenen Datensilos, die nichts voneinander wissen. Wir haben heute die Möglichkeit diese Daten mittels Technologie sauber zusammenzuführen und dann mittels Algorithmen Aussagen zu treffen.“
„Ein Ende der Fahnenstange ist, dass viele Unternehmen beim Thema CX-Prozess und Daten sehr weit sind, aber es gibt auch noch das andere Ende, wo es bereits an den Basics scheitert“, merkte Ferdinand Kaiser an, und: „Es werden Daten generiert und gesammelt – Stichwort Datensilos. Aber wenn es wirklich darum geht, dass man die Basis oder das Selbstverständnis schafft, diesen CX-Prozess auch wirklich leben zu wollen, da sehe ich noch zwei Welten. Es gibt nach wie vor sehr viel Potenzial, um anzusetzen, dass die Kundenerfahrung für alle besser wird.“ Es würde auch nichts bringen, wenn „Unternehmen mehrere Kanäle anbieten, über die Kunden gut in Interaktion treten können, aber dann den Kanal nicht sauber bespielen. Das passiert, wenn Kunden ihre Infos beispielsweise bei einem Chatbot angeben, dieser einem aber nicht helfen kann und dann kommt man zum Serviceagenten und muss die gleichen Informationen nochmals angeben.“
Optimierung der Prozesse notwendig
Michael Obermaier fügt hinzu: „Die Pandemie hat viele Unternehmen dazu gezwungen, neue Kanäle aufzumachen und schnell Technologien zu finden, um den Kunden die Möglichkeit zu geben über diese neuen Kanäle Kontakt aufzunehmen. Das hat zwangsläufig zur Siloisierung geführt, und das nicht nur im Sinne der Technologie, sondern auch der Prozesse. Vieles ist an sich gut gemeint aber manchmal auch schlecht gemacht, weil die Prozesse nicht durchgängig sind. Wenn man sich diesen Touchpoint-Dschungel mit WhatsApp oder Chatbots anschaut, dann ist die große Herausforderung für Unternehmen, es zu schaffen, die Kunden am richtigen Punkt zur richtigen Zeit abzuholen und eine gute Experience zu schaffen.“
Als Unternehmer muss man sich überlegen, was braucht der Kunde überhaupt. Überlegt man sich das selber oder redet man mit den Kunden, also lässt diese Outside-in-Sicht zu? „Das hat mit der Unternehmenskultur zu tun. Du musst als Unternehmen aufmachen, um Kunden herein zu holen und diesen Austausch suchen. Nur dann kann ich als Unternehmen tatsächlich gute Kundenreisen designen und dann schlussendlich auch eine gute Customer Experience schaffen. Manche haben diesen Schritt bereits gemacht und diese Kundenreise gemeinsam mit Partnern entwickelt und umgesetzt.“
KI und Vertrauen
Thomas Ziegler spricht dazu die Themen KI und Vertrauen an: „Es ist teilweise noch ein gesellschaftliches Problem: je tiefer die Technologie dringt, desto unheimlicher wird sie. Gerade bei KI. Hier versuchen wir aufzuklären. Technologie bietet viele Möglichkeiten und hat nichts damit zu tun, dass ein Mitarbeiter durch eine Customer Data Plattform ersetzt wird. Wir sprechen von einer Symbiose. Die Technologie kann 500.000 Kundendatensätze schnell durchsuchen und ich kann basierend darauf Entscheidungen treffen. Wir fühlen uns immer ein Stück weit bedroht aber in Wahrheit muss man Technologie so implementieren, dass sie enabled. Das Zeitalter der physischen produktiven Arbeit geht ein Stück weit zu Ende aber dementsprechend tritt Wissensarbeit an deren Stelle. Eine MIT-Studie, die diesen Prozess seit den 60er-Jahren verfolgt, besagt, dass pro Arbeitsplatz, der durch Technologie ersetzt worden ist 3,6 neue Arbeitsplätze entstanden sind. „Es gibt ja unterschiedliche Plattformen, über die man schon viele Einblicke erhält und Prozesse und Informationen sehr gut abbilden kann“, schließt Ferdinand Kaiser an: „Ein klassisches Beispiel dafür ist, dass man sich anschauen kann, wer die Website besucht. Hier könnte man schon so weit gehen, dass man den Kunden live anruft und ihm einen Termin anbietet, wenn dieser scheinbar gerade Zeit hat und nicht aus einer Tätigkeit herausgerissen wird. Aber das ist ein sehr schmaler Grat und wäre wohl ein wenig zu viel des Guten. Man muss sorgfältig wählen, welche verfügbaren Informationen man nutzt und welche nicht.“
„Andererseits erlauben es moderne Customer-Experience-Management-Lösungen Kundenverhalten entlang ihrer jeweiligen Kundenreise über alle möglichen Kanäle und Touchpoints hinweg zu erfassen, auszuwerten und so Kunden viel individueller anzusprechen“, so Michael Obermaier, „und darum geht es schlussendlich – den Kunden als Individuum wahrnehmen und somit ein Gefühl von „gesehen werden“ zu vermitteln. Denn nur so kann individuell auf Wünsche, Bedürfnisse oder auch Probleme eingegangen, passgenaue Kommunikation ausgespielt und relevante Angebote gemacht werden. All das zahlt auf das Markenerlebnis und die Kundenzufriedenheit ein und führt schlussendlich zu einer langfristigen Loyalisierung. Mit KI habe ich die Möglichkeit strukturiert Informationen auszuwerten und viele Dinge zu automatisieren. Mit Spracherkennung und mit NLP (natural language processing) kann KI verstehen, was Kunden wollen und darauf basierend auch schon intelligente Gespräche führen. Das ist eine große Unterstützung für den Contact Center Agent, der viel besser auf den Kunden eingehen kann, weil ihm die KI die einfachen Dinge abnimmt.“
„Die Strategie der Kundenzentrierung muss vom gesamten Unternehmen gelebt werden. Ein Aspekt ist aber, dass ich meine Mitarbeiter als Unternehmen abholen muss, damit sie das ebenfalls mittragen und leben. Sonst funktioniert es nicht. Wichtig dabei ist, dass der Mitarbeiter dieses „Why“ , also warum mache ich das überhaupt, versteht“, fügte Ferdinand Kaiser hinzu, und: „Leider setzen Unternehmen beim Thema Optimierung nach wie vor sehr oft auf Zeitreduktion oder Einsparungen. Das heißt der Mitarbeiter spürt einen Druck oder zumindest hat er das Gefühl, dass er gegen die Zeit arbeiten muss. Der viel größere Hebel ist eigentlich jenes Marktpotenzial, das ich mit CX erkennen und realisieren kann. Damit würde man den Mitarbeiter abholen. Das neue Tool ist keine Krücke, die ihn aufhält, sondern es unterstützt ihn, um dem Kunden einen besseren Service zu bieten. Damit hat der Kunde eine gute Customer Experience und seine Abwanderungswahrscheinlichkeit wird reduziert. Wir wissen: Einen Kunden zu halten ist deutlich günstiger als einen neuen Kunden zu akquirieren. Wichtig ist, dass man ein bestimmtes Ziel hat und dass mir als Unternehmen bewusst ist, dass es nach einem CRM-Projekt oder nach dieser Lösungseinführung besser ist als davor. Solange das Ziel nicht klar ist, ist ein Scheitern vorprogrammiert.“
„Die Unternehmen müssen verstehen, dass man mit Hilfe von Technologie mit gleich vielen Mitarbeitern mehr Kunden bedienen kann und das qualitativ besser. Und wenn der Kunde gut serviciert wird, dann kommt er wieder. Der Kunde kauft nicht nur das Produkt, sondern auch das Service dahinter“, so Thomas Ziegler. „Wichtig ist jetzt, die perfekte Mischung zu finden aus dem, was der Mensch während der Pandemie gelernt hat und dem, was er jetzt will und was er in der Pandemie nicht gehabt hat. Das heißt Unternehmen müssen ganz nah am Markt dran sein und ihren Markt verstehen. Zu warten, dass der Kunde zu dir kommt, diese Zeit ist vorbei.“ Michael Obermaier stimmt zu: „Unternehmen sehen oft nur die Investitionen oder die Personalkosten und nicht, welchen Impact Digitalisierung hat. Das ist etwas, wo viele Unternehmen noch zulegen müssen. Dann kann man mit individuellen Angeboten auf Kunden zugehen, die relevant sind.“
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