Fintechs: Spielwiese der Kreativität

Trotz einiger Dämpfer bleibt die Welt der Finanztechnologie-Unternehmen spannend. Dass selbst die altehrwürdige Institution der Pfandleihe vernünftig digitalisiert werden kann, zeigt das Wiener Startup CASHY. [...]

Die Digitalsierung des Finanzbereichs stellt den Kunden in den Mittelpunkt. (c) pixabay

Die Corona-Krise ist auch an den Fintechs nicht spurlos vorübergegangen. So setzt das Berliner Parade-Startup N26 auf Kurzarbeit. »Wir rechnen temporär mit 150 Personen in Kurzarbeit verteilt auf mehrere Standorte, zum Beispiel in den Bereichen Office Management, Marktforschung, Office IT, Marketing und Operations«, so eine Pressmitteilung. Als Begründung wurden »geringere Transaktionsvolumen«, »weniger Anfragen im Kundenservice«, »temporäre Büroschließungen« und »Wegfall von Reisetätigkeiten« genannt. Auch die Fintech-Finanzierung ist ins Stocken geraten, wie das Handelsblatt herausgefunden hat. Eine rühmliche Ausnahme sei das Steuer-App Taxfix, das vor kurzem 59 Millionen Euro von Investoren erhalten hat. Hier werden die Nutzer über einen Chat durch die Steuererklärung geführt. »Seit dem Start der App vor zweieinhalb Jahren hätten sich damit Hunderttausende Nutzer insgesamt mehr als 270 Millionen Euro an Steuererstattungen vom Fiskus zurückgeholt«, so das Handelsblatt.

Interessanterweise hat die Abschwächung schon vor Beginn der Krise eingesetzt. Das erste Quartal dieses Jahres ist nach einer Analyse des Datenspezialisten Barkow Consulting »extrem schwach« ausgefallen. Insgesamt summierten sich die Investments auf gerade mal 171 Millionen Euro. Im ersten Quartal 2019 waren es noch 695 Millionen Euro. Der Ausbruch der Coronakrise hat nach Ansicht von Peter Barkow, Inhaber des Analysehauses, dabei aber noch keine Rolle gespielt. »Die Verträge werden meist mit einigen Monaten Vorlauf geschlossen und es ist unwahrscheinlich, dass im März viele Investments abgeblasen wurden«, sagt er. Außerdem: »Auch ohne Corona wäre es schwierig gewesen, den Rekordwert von 2019 zu toppen«, schreibt das Handelsblatt.

Nachhaltiger Mehrwert

Die Jahre 2018 und 2019 waren Rekordjahre in Sachen Fintech, wie eine Studie der Comdirect-Bank und der Unternehmensberatung Barkow Consulting bestätigt. Nach einem leichten Dämpfer im Jahr 2017 nahm das Wachstum in Deutschland schnell wieder Fahrt auf. Alleine 2018 wurden 127 Finanz-Startups gegründet, im September 2019 gab es beim Nachbarn nicht weniger als 898 Fintechs. Wie schon in den Vorjahren dominierten Unternehmen die Szene, die sich mit den Themen Proptech (Immobilien, 202 Startups) und Finanzierungen (172 Startups) beschäftigen. Erstmals unter den Top 5 findet sich der Bereich Blockchain mit 76 Startups. Seit 2017 ist dieser Sektor um 111 Prozent gewachsen. Zum Vergleich: Über alle Bereiche hinweg hat die Zahl der in Deutschland ansässigen Fintechs seit Ende 2017 um 25 Prozent zugenommen.

»Wir sehen in allen Bereichen ein konstantes Wachstum – auch wenn die jüngsten Meldungen über Fusionen und Übernahmen etwas Anderes vermuten lassen«, sagte Arno Walter, Vorstandsvorsitzender der comdirect Bank, Ende letzten Jahres und ergänzte: »Neue Technologien, aber auch regulatorische Vorgaben wie PSD II bieten vielfältige Möglichkeiten für junge Unternehmen. Zunehmend wird es dabei darauf ankommen, Finanz-Lösungen noch stärker in das Leben der Nutzer einzubinden und die Grenzen der unterschiedlichen Industrien aufzulösen. Banken und Fintechs stiften damit einen nachhaltigen Mehrwert für ihre Kunden.«

2019 – Das Jahr der Übernahmen

Die von Arno Walter angesprochenen Fusionen und Akquisitionen waren 2019 das große Thema in der Fintech-Branche. Allein im ersten Halbjahr wurden 16 Finanz-Startups übernommen, also fast drei pro Monat, wie der Fintech-Kooperationsradar der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC zeigt. Insgesamt zählt der Kooperationsradar 92 Übernahmen seit Anfang 2013.

Sascha Demgensky, Leiter Fintech bei PwC, betont, dass die Entwicklung nicht nur die Startups, sondern auch die etablierte Finanzindustrie betreffe: »Das Kernthema unseres Kooperationsradars ist die Frage, wie Fintechs mit Banken, Versicherungen und anderen Finanz-Startups interagieren. So gesehen sind Übernahmen im Endeffekt die konsequenteste Form der Kooperation: Durch die Akquisition sichert sich der Käufer den zeitlich unbefristeten Zugang zu Technologie, Kunden und Mitarbeitern des jeweiligen FinTechs.«

Gleichzeitig fällt auf, dass es sich bei den Käufern von deutschen Finanz-Startups in fast der Hälfte der Fälle um andere Finanz-Startups handelt. Insgesamt zählt die PwC-Untersuchung 41 Übernahmen dieser Art. Dagegen war in zehn Fällen die akquirierende Partei eine Bank, in neun Fällen ein klassisches IT-Unternehmen, in jeweils fünf Fällen kamen Zahlungsdienstleister, Asset Manager oder E-Commerce-Anbieter zum Zuge, während nur drei Fintechs von Versicherern übernommen wurden. »Die Zahlen legen nahe, dass auch traditionelle Finanzdienstleister, die sich für spezielle Fintechs interessieren, immer öfter eine volle Übernahme zumindest in Erwägung ziehen«, sagt Demgensky.

Dafür sprechen auch andere Erkenntnisse der Studie. So hatten knapp zwei Drittel der übernommenen Fintechs einen starken B2B-Fokus. Gerade für etablierte Finanzdienstleister sei dies ein wichtiges Auswahlkriterium, wenn sie sich potenzielle Übernahmeziele anschauen, so Demgensky. Ebenfalls signifikant: Bei den meisten übernommenen Fintechs – nämlich bei insgesamt 21 – handelte es sich um Startups, deren Geschäftsmodelle dem Bereich »Finanzen« zuzuordnen sind. Es folgen Startups aus den Segmenten »Payments« (19), »Accounting« (12), »Investment« (8), »Immobilien« und »InsurTech« (jeweils 7). Und noch ein weiteres Ergebnis der Studie: Im Schnitt waren die Fintechs zum Zeitpunkt der Übernahme knapp fünfeinhalb Jahre alt. »Bei der Entwicklung eines Fintech-Startups ist das vierte Jahr häufig entscheidend für den zukünftigen Erfolg«, sagt Sascha Demgensky von PwC.

Digitalisierung der Pfandleihe

Dass es Fintech-Spezialisten immer wieder zurückzieht zu ihrem Ort des Erfolgs, zeigt u.a. Michael Müller, ehemaliger CEO von paysafecard. Er legte mit der Gründung des Online-Prepaid-Zahlungsmittels den Grundstein für eine weltweite Erfolgsgeschichte mit Millionen von Kunden, einem jährlichen Gesamttransaktionsvolumen von mehr als 10 Milliarden US-Dollar und rund 300 Mitarbeitern weltweit. Nach seinem Ausstieg engagiert sich der Wiener nun bei CASHY. Das Fintech-Startup mit Sitz in der Burggasse im siebenten Wiener Gemeindebezirk will den angestaubten Markt der Pfandleihe revolutionieren. Auf cashy.at werden Wertgegenstände innerhalb von Sekunden angekauft oder gegen einen Kurzkredit belehnt. Auf Wunsch bringt ein Mitarbeiter das Bargeld kontaktlos und anonym direkt zum Kunden nach Hause.

Die Beteiligung von Müller und weiteren Investoren liegt im hohen sechsstelligen Bereich. »Durch meine Arbeit für die paysafecard war mir das Problem der fehlenden Liquidität bzw. unzureichenden Finanzmittel bekannt. Als ich von CASHY erfahren habe, war ich daher von der Idee sofort begeistert. CASHY digitalisiert ein uraltes Gewerbe, das so endlich transparent gemacht wird. Im Gegensatz zum klassischen Pfandhaus ist der Kunde nicht mehr von der Laune des Schätzers abhängig, er kann in Ruhe und anonym zu Hause eine Kaufentscheidung tätigen«, so Michael Müller.

CASHY soll nichts weniger als die Digitalisierung des Secondhandmarktes bedeuten. Müller: »50 Prozent unserer Kunden nehmen keine Kredite auf, sondern verkaufen ihre Waren sofort über unsere Plattform. Dazu kommt auch der Aspekt der Nachhaltigkeit. Ein gebrauchtes Smartphone, das einen neuen Besitzer gefunden hat, ist um 100 Prozent nachhaltiger als ein Neugerät.« Zudem ließe sich das Geschäftsmodell relativ einfach hochskalieren. »Im nächsten Schritt werden wir unseren Service auch in den anderen Bundesländern inklusive Postversand anbieten. In der zweiten Jahreshälfte ist der Start im Ausland geplant«, skizziert der Investor die nächsten Monate.

Gegründet wurde CASHY in Wien im Jahr 2019 (nach eigenen Angaben: 2018) von dem Finanzexperten Patrick Scheucher und dem Mediziner Florian Sulzer. Frustriert von den vielen Ablehnungen bei Kreditanträgen erkannten die beiden den Bedarf sowie die fehlenden, alternativen Angebote bei Pfandkrediten. Gemeinsam entwickelten sie eine Lösung zur Vergabe von Pfandkrediten und der Besicherung von beweglichen Gegenständen. Marketingexperte Thomas Mang und Florian Hilbinger als CTO komplettierten das Team.

Kernkompetenz von CASHY ist der digitale Ankaufsservice sowie die Belehnung von Wertgegenständen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Pfandhäusern können Kunden bequem am Handy oder am Heim-PC den Wert ihrer Smartphones, Tablets etc. ermitteln. Innerhalb weniger Sekunden erhält der Kunde anschließend einen Kredit oder ein Kaufangebot. Das Geld wird dann schnellstmöglich überwiesen oder im CASHY-Shop ausbezahlt. Der Erfolg des »digitalen Pfandhauses«? Eigenen Angaben zufolge wurden über CASHY mehr als 10.000 Transaktionen getätigt (Stand April 2020).


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