Lebenswerte Urbanität

In Österreich leben bereits knapp 60 Prozent der Bevölkerung in Städten. Smart Cities versprechen dank Digitalisierung und moderner Gebäudetechnik eine hohe Lebensqualität bei weniger Emissionen und Ressourcenverbrauch. [...]

Smart Cities versprechen dank Digitalisierung und moderner Gebäudetechnik eine hohe Lebensqualität bei weniger Emissionen und Ressourcenverbrauch. (c) ASCR / VogelAV

Während im 19. und 20. Jahrhundert Großstädte mit zahlreichen Jobs lockten, dafür aber jede Menge Ressourcen verbrauchten und schädliche Emissionen erzeugten, verspricht im 21. Jahrhundert das Konzept der Smart City ebenfalls Jobs und Entfaltungsmöglichkeiten – bei umweltfreundlicher Nachhaltigkeit und einer hohen Lebensqualität für die Bewohner. Dadurch steigt jedoch die Attraktivität der Städte und damit auch ihr Preis, was sich gut an immer höheren Immobilien- und Mietpreisen ablesen lässt. Der Anziehungskraft der Städte hat das offenbar nicht geschadet. So bevorzugen immer mehr Menschen urbanes Wohnen: Seit ungefähr 2008 leben erstmals mehr als die Hälfte der Menschen auf der Erde in Städten – im Jahr 2050 sollen es laut Schätzungen der UNO bereits an die 70 Prozent sein.

Für die aktuelle Capgemini-Studie »Street Smart: Putting the Citizen at the Center of Smart City Initiatives« (April 2020) wurden 10.000 Bürger und über 300 städtische Beamte in zehn Ländern über die für Smart-City-Maßnahmen wichtigen Bereiche Transport & Mobilität, Healthcare, öffentliche Sicherheit, Wasser- und Stromversorgung, Bürgerservices, Abfallmanagement und nachhaltige Entwicklung befragt. Demnach wäre ein Drittel der Menschen, die bereits in einer Stadt leben, bereit, ihre Stadt für eine Smart City zu verlassen und für die gebotenen smarten Maßnahmen auch zu zahlen. Derzeit attestiert nur jeder zehnte der in der Capgemini-Studie Befragten seiner Stadt, sich bei der Umsetzung eines umfassenden Smart-City-Konzeptes in einem fortgeschrittenen Stadium zu befinden.

Hierbei geht es den Befragten zudem nicht nur um das reibungslose Funktionieren der städtischen Verwaltung mit Hilfe von digitalen Technologien, sondern auch um Nachhaltigkeit und Umweltschutz. So nennen 42 Prozent der Bürger die aus der Umweltverschmutzung entstehenden Herausforderungen als ein wesentliches Problem, 36 Prozent die geringe Anzahl an Nachhaltigkeitsinitiativen. Auch hier bildet die Digitalisierung das Fundament: Demnach fürchten 41 Prozent der Befragten, dass ihre Stadt in den nächsten fünf bis zehn Jahren weniger nachhaltig sein wird, wenn die Einführung digitaler Technologien ausbleibt. 

Das entspricht auch der von den Vereinten Nationen formulierten Definition einer Smart City: »Eine intelligente nachhaltige Stadt ist eine innovative Stadt, die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und andere Mittel einsetzt, um die Lebensqualität, die Effizienz des städtischen Verwaltung und der gebotenen Dienstleistungen sowie die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und gleichzeitig sicherzustellen, dass diese die Bedürfnisse heutiger und zukünftiger Generationen hinsichtlich wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und ökologischer Aspekte erfüllt.«

Umfassende Smart-City-Konzepte in Österreich

In Österreich werden Smart Cities ähnlich definiert, als energieeffiziente, ressourcenschonende und emissionsarme Städte mit höchster Lebensqualität, in denen neueste Energietechnologien zur Anwendung kommen. Entsprechend dieser Definition schlagen sich die größeren österreichischen Städte sehr gut: im Bezug auf Lebensqualität liegt Wien ganz vorne – nicht nur österreichweit, sondern weltweit. So listet besagte Capgemini-Studie Wien als diejenige Großstadt auf, deren Bewohner im Vergleich zu anderen Städten das geringste Verlangen haben wegzuziehen. Dahinter folgen Linkoping (Schweden), Tampere (Finnland), Bristol (UK) und Zürich (Schweiz). Auch das jährlich von der internationalen Beratungsagentur Mercer erstellte Ranking der Städte mit der weltweit höchsten Lebensqualität vergibt regelmäßig seit zehn Jahren den ersten Platz an Wien. Auf den Plätzen kamen bei Mercer letztes Jahr Zürich und ex aequo Vancouver, München und Auckland zu liegen. Die Veröffentlichung der diesjährige Studie verspätet sich auf Grund der COVID-19-Pandemie. Damit nicht genug führt Wien als Stadt mit der konsistentesten und umfassendsten Smart-City-Strategie den aktuellen, aus dem Jahre 2019 stammenden Smart City Strategie Index (SCSI) der deutschen Unternehmensberatung Roland Berger an.

Mit der letztes Jahr im Herbst vorgestellten »Digitalen Agenda 2025« treibt Wien konsequent das Konzept der Smart City voran. Insbesondere für die Handlungsfelder Sicherheit, Service, Wissen, Arbeitswelt 4.0, Wirtschaft, Infrastruktur und Steuerung wurden Leitprojekte definiert, die in den nächsten Jahren umgesetzt werden. Als eine der ersten Stadtverwaltungen Europas hat die Stadt Wien als Teil der Digitalen Agenda auch eine eigene Strategie für den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). Letztlich hat aber jede österreichische Landeshauptstadt einen Masterplan bezüglich Digitalisierung und Smart City, wobei die Zeiträume für das Umsetzen der Ziele zeitlich allerdings unterschiedlich definiert sind und von 2025 bis 2050 reichen. Oft werden Smart-City-Konzepte in ausgewählten Stadtteilen umgesetzt, wie in Graz, wo bis zum Jahr 2030 insgesamt fünf Smart-City-Stadtteile entstehen sollen. Im September 2017 wurde der Science Tower eröffnet – sozusagen der umweltfreundliche Leuchtturm der My Smart City Graz. Seine Fassade aus Energieglas wandelt Sonnenlicht in elektrische Energie um. Um diesen Turm und die Helmut-List-Halle entstehen neue Wohn- und Gewerbeflächen, die dank Solarmodulen, solarer Kühlung, urbaner Solarstromerzeugung, integrierter Fassadentechnologien und Smart Heat Grids dem Konzept einer »Zero-Emission«-Stadt folgen.

Natürlich herrscht ein gewisser Wettbewerb zwischen den Städten, denn herzeigbare Leuchtturmprojekte und gelungen umgesetzte Smart-City-Strategien sind ein Standortvorteil. Aber zahlreiche Projekte wie das Alpenraum-Programm MORECO (Österreich, Deutschland, Frankreich, Slowenien, Italien) oder SaMBA (Sustainable Mobility Behaviours in the Alpine Region) werden von der EU vorgegeben und gefördert und von den Städten aufgegriffen und umgesetzt. Zudem tauschen sich die Städte österreich- und europaweit aus und evaluieren erfolgreiche Projekte hinsichtlich einer Umsetzung für die eigene Stadt.

Smarte Mobilität

Mobilität spielt in einer Smart City eine große Rolle, dabei trachten die Verantwortlichen danach einen Mix unterschiedlicher Mobilitätsformen zu schaffen, die für alle Bewohner zugänglich sind. Der Fokus verlagert sich dabei zunehmend auf den öffentlichen sowie Rad- und Fußverkehr. Beispielsweise wird für die Bewohner der My Smart City Graz ein umfangreiches Angebot aus Carsharing, E-Bikes und Lastenrädern geschaffen. Dabei wird der Servicegedanke groß geschrieben: In den Stiegenhäusern der einzelnen Gebäude in My Smart City Graz zeigen Infoscreens die Abfahrtszeiten der öffentlichen Verkehrsmittel an. Eine individuelle Mobilitätsberatung, Mobilitäts-Apps und Workshops runden das Serviceangebot ab.

Andere Städte verfolgen einen ähnlichen Mobilitätsansatz: In Linz, Salzburg und Graz läuft eine Testphase, bei der die GLS Austria Pakete mit E-Scootern zustellt. DieTRIPL genannten Elektro-Dreiräder des dänischen Herstellers EWII sind bis zu 45 km/h schnell und beinahe geräuschlos unterwegs, haben eine Ladekapazität von 750 Litern und eine Reichweite pro Akkuladung von bis zu 100 Kilometern. Damit ist der E-Scooter hervorragend für die umweltfreundliche Zustellung in Wohngebieten und Einkaufsstraßen geeignet.

Doch die Entwicklung erfolgt nicht im Gleichschritt: So hat sich Salzburg diesen April gegen den Verleih der elektrischen Tretroller entschieden. Diese zielen nach Ansicht des Bauauschusses der Stadt Salzburg vor allem auf Touristen ab, die oftmals damit ungeübt eine Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer darstellen. In Österreich sind allerdings gegenwärtig bereits elf Anbieter mit solchen E-Scooter-Verleihsystemen in sieben Städten tätig, darunter, Wien, Linz und Innsbruck.

Das Projekt »Walk & Feel« will wiederum die Bedingungen für Fußgänger verbessern und dadurch die Lebensqualität im urbanen Raum erhöhen. Mittels Sensoren werden Wahrnehmungen und Emotionen beim Zufußgehen gemessen und danach die Daten ausgewertet: Von den gemessenen physiologischen Reaktionen sollen die konkreten auslösenden Faktoren im Straßenraum abgeleitet und so eine Bewertung der Walkability ermöglicht werden. Gegenwärtig läuft eine Feldstudie in Wien, Salzburg Stadt und Salzburg Umland mit insgesamt 60 Probanden.

Energie für die Digitalisierung

Eines ist sicher: Digitalisierung braucht Strom und dieser sollte jedenfalls ausfallsicher zur Verfügung stehen. Da sich die Gestaltung der Stromnetze im Wandel befindet – Stichwort Alternativenergie und Energiegemeinschaften – muss sich auch das Energiesystem transformieren. Wenn nicht mehr wenige große Kraftwerke für die Stromversorgung zuständig sind, sondern künftig an vielen Orten Energie ins Netz eingespeist wird, beispielsweise von privaten Photovoltaik-Anlagen, und zudem aufgrund der vermehrten Elektromobilität mehr Strom benötigt wird, müssen vor allem die Mittel- und Niederspannungsnetze an die neuen Anforderungen angepasst werden. Deswegen wurde das gemeinsam von Siemens und dem Austrian Institute of Technology (AIT) geleitete Projekt Power System Cognification (PoSyCo) gestartet. Ziel ist, die Stromnetze zu »Smart Grids« zu transformieren, nämlich zu automatisierten, vorausschauenden und digitalisierten Systemen, die Probleme frühzeitig erkennen und gezielt fortschrittliche Schutzfunktionen implementieren, um Stromausfälle und Überlastungssituationen zu verhindern. Gegenwärtig werden in der Seestadt Aspern in Wien in mehreren definierten Anwendungsfällen Simulationen durchgeführt.

Diese Modellregion ist für dieses Forschungsvorhaben hervorragend geeignet, da dort bereits in Smart Buildings auf dezentrale Weise Strom und Wärme erzeugt wird. Das im Zuge des Projekts neu entwickelte, hochmoderne Schutzsystem wird von den Projektpartnern gemeinsam mit Aspern Smart City Research (ASCR) in der realen Demonstrationsumgebung getestet. Die nötige kommunikationstechnische Vernetzung besteht dort ebenfalls. Die Möglichkeiten sind vielfältig, wie Roland Zoll von den Wiener Netzen erklärt: Vielleicht geben wir eines Tages unseren Gebäuden nur noch einen bestimmten Temperaturbereich vor, und das System entscheidet je nach Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt automatisch, wann geheizt werden soll. Oder wir laden abends unser Elektroauto auf und verlangen, dass die Batterien am nächsten Tag um 8 Uhr voll sein sollen – die Ladestation kommuniziert daraufhin mit dem Stromnetz, um den besten Ladezeitpunkt zu ermitteln. Die Bewohner des Stadtviertels sind in das Projekt, das Anfang 2019 startete und bis Ende 2021 läuft, eingebunden. Weitere Projektpartner sind die TU Wien, Wiener Netze, Wien Energie, TU Graz, ASCR und MOOSMOAR Energies.


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