Ist KI ein Jobkiller oder Jobmotor?

Fluch oder Segen? Die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt sind kaum abzusehen. [...]

Foto: Lukas/Pixabay

Der Hype um den Chatbot ChatGPT und den Durchbruch generativer künstlicher Intelligenz ist enorm. Zahlreiche Berufsgruppen sind nervös geworden, weil ChatGPT Aspekte ihrer Arbeit schneller, besser und günstiger erledigen könnte.

Auf der anderen Seite entstehen neue Berufsgruppen wie der Prompt-Redakteur, der aus KI-Anwendungen das Maximum herauskitzeln soll. KI hat somit das Potenzial, zu einem Jobkiller oder einem Schrittmacher zu werden. Was überwiegt, ist bei Experten noch umstritten.

Forscher der Investmentbank Goldman Sachs schätzen, dass ein Viertel aller Arbeitsplätze in den USA und Europa durch KI-Automatisierung gefährdet ist und bis zu 50 Prozent der von Menschen verrichteten Arbeiten durch Maschinen ersetzt werden können. Weltweit würden so bis zu 300 Millionen Menschen ihre Arbeit verlieren.

Jack Klaassen wiederum, Director Innovation & Technology bei Macaw, einem Full-Service-Provider für die digitale Transformation, sieht den Einsatz von KI für die tägliche Arbeit als Gamechanger und wesentlichen Bestandteil der vierten industriellen Revolution.

„Aus der Geschichte wissen wir, dass alle vorherigen tiefgreifenden Veränderungen in der Industrie eher mehr als weniger Arbeit geschaffen haben. Dennoch verändert sich die Aufgabenverteilung: Stellen fallen weg, verändern sich, neue kommen hinzu. Diese Phase führt immer zu Spannungen zwischen Beschäftigten, Unternehmen und der Gesellschaft. Alle sollten jetzt flexibel sein, um ihre Chancen zu erkennen und zu ergreifen. Es besteht die Gefahr, dass sich Unterschiede zwischen Ländern durch die Globalisierung der Wirtschaft noch mehr verstärken, wenn nicht alle KI mit dem gleichen Mut einsetzen.“

Künstliche Intelligenz und Sprachmodelle sind vielleicht nicht Jobkiller, aber doch Jobveränderer, und natürlich stehen jetzt einige andere Berufsbilder im Fokus, die von künstlicher Intelligenz in der Vergangenheit nicht so stark betroffen waren.

Jörg Herbers – Geschäftsführer von Inform

Für Wieland Alge, CFO von Swarm Analytics, einem Start-up aus Österreich, das Verkehrsdaten für die Smart City von morgen analysiert, steht dagegen fest:

„KI wird kein Jobkiller sein, sondern ein Schrittmacher. Vor allem weil es – im Gegensatz zu den disruptiven Automatisierungen, die wir schon erlebt haben – wenige manuelle Tätigkeiten betrifft. Die KI ersetzt keine Installateure. Die KI ersetzt keine Tischler. Die KI ersetzt keine Pflegekräfte. KI killt keine manuellen Tätigkeiten, sondern eher pseudokreative Tätigkeiten. Mediale Aufmerksamkeit für Bedrohungen der Kreativ- und Medienbranche ist normal, aber der disruptive Effekt von Automatisierungen war stärker.“

Nur neun Prozent der Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland setzen künstliche Intelligenz ein.
(Quelle: Bitkom Research 2022 (n = 606))

Einen neuen Aspekt hebt Jörg Herbers, Geschäftsführer von Inform, hervor: „KI und Sprachmodelle sind vielleicht keine Jobkiller, aber doch Jobveränderer, und natürlich stehen jetzt einige andere Berufsbilder im Fokus, die von KI in der Vergangenheit nicht so stark betroffen waren“, sagt er. Man könne trotzdem erwarten, dass andere Berufsbilder entstehen.

„Das ist ein Veränderungs-, aber auch ein Automatisierungsprozess. Nehmen wir die Programmierer, die jetzt Tools an die Hand bekommen, mit denen sie im gleichen Zeitraum im Zweifel mehr Output erzeugen. Oder wenn der Output gleich bleiben soll, kann der Arbeitseinsatz sinken. Das sind mögliche Bewegungen ins Negative für diese Berufsbilder. Es könnten aber auch neue Berufsbilder entstehen, wie das bei anderen technologischen Evolutionsstufen ebenfalls der Fall war.“

KI als Jobshifter

Manche Sozialwissenschaftler sprechen nicht von einem Jobkiller, sondern von einem Jobshifter. Bei dem viel zitierten Beispiel des mechanischen Webstuhls war es auch so, dass viele Arbeiter zuerst überflüssig geworden sind, dann aber in der boomenden Stoffindustrie neue Jobs gefunden haben.

Allerdings sind jetzt Berufe bedroht, die eher gut situiert sind, etwa Entwickler, Programmierer, Grafikdesigner, Journalisten und Juristen. Wenn diese durch den Jobshifter KI in andere Berufe kommen, wo sie dann vielleicht überqualifiziert und unterbezahlt sind, ist das gesellschaftlich und ökonomisch problematisch.

In Sicherheit wähnen sollte sich keine Gruppe. Die Forscher von OpenAI und der University of Pennsylvania gehen davon aus, dass die meisten Arbeitsplätze in irgendeiner Form durch die KI-Sprachmodelle verändert werden. Rund 80 Prozent der Arbeitnehmenden in den USA seien in Berufen tätig, in denen mindestens eine Aufgabe durch generative KI schneller erledigt werden könne.

„Was wir eigentlich immer gesehen haben in Bewegungen wie jener mit dem Webstuhl, und jetzt auch mit den Sprachmodellen, ist, dass bestimmte mechanische Arbeiten durch Arbeiten einer höherwertigen Natur ersetzt wurden“, so Herbers.

„Wenn ich jetzt zum Beispiel aus einem intelligenten Bildgenerator oder einem Sprachmodell einen guten Output erzeugen will, dann muss ich mir Gedanken darüber machen, wie ich diesen Output denn rauskriege. Das hebt meine Aufgabe auf ein höheres Niveau – indem ich die Koordination dieser Tätigkeiten mache und immer noch einen kreativen Beitrag leiste.“

Auch Alge meint, was GPT oder die Language Models recht schnell perfektionieren würden, seien repetitive kreative Dinge.

„Boshaft gesagt ist das Pseudokreativität. Nicht als Künstler etwas zu erschaffen, was originär noch nie da gewesen ist, sondern irgendwas wiederzugeben, das in ähnlicher Form schon einmal da war.“ Kinderbücher einer bestimmten Form etwa hätten alle dasselbe Muster. Das sei einfach Runterschreiben immer desselben Themas.

Arbeitsteilung Mensch und Maschine

Jede neue Technologie schaffte bisher auf lange Sicht mehr Arbeitsplätze, als sie vernichtet hat. Das könnte dieses Mal anders sein. Es gibt zwar offene Arbeitsstellen in der Schweiz – derzeit etwas mehr als 50 000 –, die sind aber vielleicht im Vergleich zu dem, was die Leute vorher gemacht haben, niederwertiger oder schlechter bezahlt.

Es sind aus den Armeen von Buch­haltern nicht verzweifelte Strassenreiniger geworden, als die AS/400 von IBM entstanden ist.

Wieland Alge – CFO bei Swarm Analytics

Klaassen aber erwartet, dass auch dieses Mal die Bilanz positiv ausfallen werde. „Aber es ist möglich, dass der Wandel, den wir in den nächsten Jahrzehnten vollziehen werden, extremer sein wird als während der vorherigen Revolutionen. Im Lauf der Zeit wird sich die Arbeitsteilung zwischen Menschen und Maschinen verschieben, was zu einem anderen Arbeitsmarkt führen wird.“

Ähnlich sieht das Herbers: „Ich glaube, dass vielleicht das Gesamtvolumen der Arbeit für eine gesellschaftliche Wertschöpfung sinkt. Im Rahmen der gesellschaftlichen Diskussion zur Reduzierung der Arbeitszeit bringen wir vielleicht beides zusammen: Dass der Output ein bisschen steigt und gleichzeitig die Arbeitszeit ein bisschen sinkt und wir dieses Geflecht neu ausnivellieren.“

Alge argumentiert: „Es sind aus den Armeen von Buchhaltern nicht verzweifelte Strassenreiniger geworden, als die AS/400 von IBM entstanden ist. Allerdings wird es bei diesem Jobshifting notwendig sein, das als Individuum aktiv zu gestalten. Nicht warten, bis man irgendwo anders hingestellt wird und beleidigt sein. Was KI schlecht kann – und da wird sie immer schlecht bleiben – ist, die richtigen Fragen zu stellen.“


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