Die Matrixorganisation gehört zu vielen Unternehmen wie die Kantine - und ist häufig genau so oft in der Kritik. Wir zeigen Vor- und Nachteile sowie Wege zum erfolgreichen Einsatz. [...]
„Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Ich kann die Vielzahl der Aufgaben kaum stemmen“ – so klingt es häufig, wenn man Mitarbeitern in Unternehmen mit einer Matrixorganisation zuhört. Und das bringt bereits den Haken dieser etablierten Organisationsform auf den Punkt. Schließlich bedienen Mitarbeiter in diesem System Aufgaben aus zwei Richtungen und sind – insbesondere, wenn sie ihre Kompetenz bereits unter Beweis gestellt haben – häufig vielfach gefragt. Dies kann zu Stress und Überlast mit allen Folgeerscheinungen führen.
Dabei weist die Matrixorganisation zahlreiche unstrittige Vorteile bei der Strukturierung von Unternehmen auf – gerade wenn sich ein Unternehmen effizient aufstellen will. Zu den Entwürfen einer klassischen, hierarchischen Aufbauorganisation und der derzeit vielfach publizierten agilen Organisation bietet die Matrix eine attraktive Alternative. Ihre mehrdimensionale Struktur ermöglicht organisatorische Flexibilität in Hinblick auf Themen, Teams und Mitarbeiter und ist dabei sehr wirksam – wenn sie denn passgenau auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten und in der Kultur verankert ist. So braucht eine nachhaltig wirkungsvolle Matrixorganisation – wie jede andere Organisationsform auch – einen klaren, für alle nachvollziehbaren und gelebten Rahmen, der in Zeiten von Remote Work in besonderem Maße relevant ist.
Matrixorganisation – Definition
Die Matrixorganisation beschreibt eine mehrdimensionale Organisationsstruktur, in der eine funktionale, vertikale Aufbaustruktur um eine horizontale Ebene ergänzt wird. So wird über die vertikale Dimension der fachlichen Struktur (beispielsweise nach Funktionen wie Marketing, Produktmanagement oder Technologie) eine zweite Dimension (zum Beispiel nach Projekten, Geschäftsfeldern, Kunden) gelegt. Mittlerweile wird vielfach auch von einer dritten Dimension gesprochen, mit der die Querschnitts-Managementfunktionen wie beispielsweise HR, Einkauf oder gemeint sind.
Da alle Dimensionen unabhängig voneinander dabei in einer „ausgeglichenen“ Matrix theoretisch gleichberechtigt sind, entsteht ein crossfunktionales System, das Flexibilität und Effizienzgewinn zur Folge hat, im Unternehmensalltag häufig jedoch für die involvierten Mitarbeiter eher einen Würgegriff bedeutet. Denn letztlich stehen alle Mitarbeiter zum Beispiel in zwei Weisungsbeziehungen: gegenüber dem Fachbereichsleiter als disziplinarischer Führungskraft und dem jeweiligen Projekt- oder Geschäftsfeldleiter. So entsteht ein klassisches „Zwei-Boss-System“, das im Organigramm über die Knotenpunkte verdeutlicht wird. Und das sich auch zum „Mehr-Boss-System“ entwickeln kann, wenn nämlich Mitarbeiter in mehreren Projekten arbeiten, was im Unternehmensalltag an der Tagesordnung ist.
Die Anfänge der Matrixorganisation
Die Matrixorganisation hat ihren Ursprung in den von zunehmender Internationalisierung und technologischem Wandel geprägten 50er bis 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Diese Entwicklung erforderte mehr Verflechtung und Professionalität, also Themen, die uns auch heute treiben. Die erste Matrixorganisation wird dem Luft- und Raumfahrtunternehmen TRW Inc. und seinem Mitbegründer Simon Ramo zugeschrieben, der so produktspezifisches und funktionales Know-how ohne irgendeine Dominanz zusammenbringen wollte. Die übersichtliche Darstellung über Organigramme klärte direkt die Bezüge und Weisungsbefugnisse. In der Folge breitete sich diese Organisationsform immer weiter aus, mit Schwerpunkt im industriellen Bereich – zum Beispiel in Sparten bei DuPont oder General Motors.
Eine Renaissance erlebte die Matrix in der zweiten Hälfte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit dem Trend zu flacheren Hierarchien und dem zunehmenden Projektgeschäft. In der Folge hat sie sich bis heute in vielen Branchen und Unternehmen mit hohem Entwicklungsdruck und/oder Projektgeschäft etabliert, also zum Beispiel bei IT- und Software-Unternehmen, in der Bau- und Automobilindustrie sowie dem Dienstleistungssektor. Und zwar unabhängig von der Unternehmensgröße, wobei in KMUs oder Startups häufig eine informelle Matrix zu finden ist.
Dabei haben sich im Lauf der Zeit unterschiedliche Formen der Matrix gebildet: die starke, schwache und die ausgeglichene Matrix. Diese Varianten unterscheiden sich über den Grad der Autonomie der Führungsentscheidungen auf der horizontalen Ebene der Matrix. Während also in der starken Matrix Projektleiter über eine hohe Entscheidungskompetenz verfügen, ist diese in der schwachen Matrix auch schwach ausgeprägt.
Matrixorganisation – Vor- und Nachteile
Die Vorteile einer Matrixorganisation sind naheliegend: Mitarbeiter können zielgerichteter und flexibler eingesetzt werden, so dass Silos aufgebrochen werden. Das wiederum verhindert Einseitigkeit auf Seiten der Mitarbeiter, unterstützt interdisziplinäres Denken und Handeln von Führungskräften und Mitarbeitern und eröffnet die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Im Unternehmen können zudem Auslastungsschwankungen optimal abgefedert werden. So weit, so gut.
Wo nun allerdings die Matrix im Organigramm Knotenpunkte ausweist, arbeiten in Unternehmen Menschen. Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, Ambitionen und Belastungsgrenzen. Und diese Menschen erhalten nicht nur von unterschiedlichen Seiten ihre Aufgaben, sie berichten in der Matrix an zwei Chefs: ihren Linienvorgesetzten und ihren Projektleiter. Arbeiten sie in mehreren Projekten mit, erhöht sich die Anzahl der Vorgesetzten entsprechend, was die Gemengelage nicht vereinfacht.
Oder was denken Sie, wer in diesem Konstrukt den Ton angibt, wenn der eine Boss die Jahresziele vorgibt, die Gehaltserhöhung vertritt oder auch den Urlaubsschein freigibt? Menschen werden sich in diesem Kontext immer am Stärkeren orientieren und das ist für sie persönlich auch die richtige Entscheidung. Ob das im Sinn der Aufgabe ist, tritt dabei häufig in den Hintergrund. Konsequenzen können verlängerte Entscheidungsprozesse, Verwirrung, Konflikte oder auch Konkurrenzkämpfe zwischen den verschiedenen Entscheidern oder den Experten aus unterschiedlichen Bereichen sein. Und wem wird bei Abschluss eines Projektes, einer Aufgabe der Erfolg oder auch Misserfolg zugeschrieben? Eine nicht lapidare Frage im Zwei-Boss-System.
Zudem werden die mit der funktionalen Struktur verbundenen hierarchischen Strukturen in der divisionalen Arbeit aufgelöst. Eine Führungskraft, zum Beispiel ein Abteilungsleiter, kann im Projekt demzufolge zum Mitarbeiter werden. Sein Vorgesetzter im Projekt ist der Projektleiter, der in der Hierarchie jedoch auf Mitarbeiterebene angesiedelt ist. Eine Herausforderung für alle Beteiligten.
Ein weiterer kritischer Aspekt dieses Systems ist die Mehrbelastung der Mitarbeiter, sind sie doch zumeist prozentual für zum Beispiel Projektaufgaben eingeteilt. Häufig ohne Berücksichtigung dieser Aufwände bei der klassischen Linientätigkeit. Die Arbeit aus der 2. Dimension, den Projekten oder auch Sparten, wird als Add-on bewertet. Diese Fehleinschätzung kann sich bitter rächen. Denn die daraus häufig resultierende Überlastung kann bis hin zu Demotivation, Burnout und innerer Kündigung führen. Folgen, die gerade in der aktuellen Zeit der zunehmenden Anforderungen und deren Abarbeitung im Homeoffice ohne den inoffiziellen Austausch mit den Kollegen, massiv zunehmen.
Die Erfolgsfaktoren der Matrix
Die Matrix kann das Erfolgsmodell einer Unternehmensorganisation sein und bewährt sich mit ihrer Verbindung von hierarchischer und divisionaler Struktur im Vergleich zu anderen neueren Entwicklungen – gerade in den Unternehmen, die von ihrer Historie, den Rahmendaten oder ihrer Unternehmenskultur her den eher tradierten Rollen verbunden sind.
Um ihre volle Leistungsfähigkeit zu entwickeln, benötigt die Matrixorganisation allerdings einen Rahmen, der im Unternehmen aktiv gelebt und in der Kultur verankert sein muss. Dabei sind drei Aspekte besonders relevant:
1. Klare Rollen & Verantwortlichkeiten
Zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten, Machtkämpfen oder auch Verunsicherung auf Seiten von Führungskräften, Projektleitern und Mitarbeitern sind in jeder Matrix die Rollen, deren Aufgaben, Verantwortungen und Kompetenzen zu klären. Die Grundlage schaffen Unternehmen, indem sie jede Rolle mit einem entsprechenden Profil hinterlegen, das die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen sowie die Eskalationsprozesse beschreibt – unter Berücksichtigung der Schnittstellen zu den anderen Rollen. Die Praxis zeigt immer wieder, dass diese Profile, wenn sie denn existieren, nicht allen bekannt sind oder auch unterschiedlich interpretiert werden. Insofern empfiehlt sich, in jedem neuen Projekt – auch wenn die Beteiligten noch so häufig bereits zusammengearbeitet haben – diese Punkte offen, klar und verbindlich zu thematisieren und auch fixieren.
Als weitere Themen in diesen Gesprächen empfiehlt sich die Klärung der wechselseitigen Erwartungen und die Wege, beziehungsweise Stufen einer Eskalation. Dieser Klärungsprozess sollte vor Start der Arbeit in einem Projekt in alle Richtungen erfolgen: Also Projektleiter mit seinem Team und seinen beiden Bossen Auftraggeber und Führungskraft, darüber hinaus mit den verschiedenen Führungskräften der Projektmitarbeiter.
Um dies für alle verbindlich festzuhalten und auch im stressigen Tagesgeschäft kontinuierlich transparent zu machen, hat sich die schriftliche Vereinbarung von Spielregeln bewährt – die dann häufig auch Aspekte des nächsten Punktes umfassen.
2. Offene Kommunikation
Für diesen Klärungsprozess wie auch für die weitere Zusammenarbeit (nicht nur) in dieser Struktur ist eine offene, vertrauensvolle Kommunikation unabdingbar. Eine Hidden Agenda, und sei sie noch so menschlich, ist nicht hilfreich. Die Themen und Erwartungen gehören auf den Tisch und sind im Zweifel auszuhandeln. Dabei gilt: Jedes Thema, jede Erwartung ist möglich im Gespräch. Letztlich machen Ton und Form die Musik, die Inhalte folgen. Die Führungskräfte haben in diesem Zwei-Boss-System eine Vorbildfunktion, indem sie diese Offenheit vorleben und gerade kritische Themen ansprechen. Projektleiter sollten sich allerdings auch als Führungskraft verstehen und informieren, kommunizieren und fragen, fragen, fragen … : ihren Auftraggeber, das Projektteam, die Führungskräfte ihrer Teammitglieder.
Dieses Verständnis von Kommunikation und vor allem dessen Umsetzung setzt eine entsprechende Haltung der Beteiligten voraus. Sie schafft auf allen Seiten die Grundlage für diesen Erfolgsfaktor, der im weiteren Projektverlauf seine Relevanz beweist. Denn jegliche Information zum Beispiel zu Umpriorisierungen, Terminverschiebungen, aber auch zu Überlastungen der Mitarbeiter muss offen an die entsprechenden Beteiligten weitergegeben und verhandelt bzw. diskutiert werden (können).
3. Transparentes Ressourcenmanagement
Wieviel Aufgaben von zwei oder auch mehr Seiten verträgt eine Struktur? Was kann bei wem noch eingeplant werden? Antworten auf diese Fragen sind für Führungskräfte in der Matrix mit der Einsteuerung von Aufgaben von mindestens einer zweiten Seite häufig schwierig. Die Folge ist die aufgezeigte Überlastung, der Frust der Mitarbeiter.
Um dem entgegenzusteuern, ist ein Ressourcenmanagement unverzichtbar. In einem einfachen System werden den verfügbaren Mitarbeitertagen zum Beispiel eines Monats die zu leistenden Aufgaben mit den jeweiligen Aufwänden gegenübergestellt. Diese systematische Vorgehensweise schafft Transparenz und häufig überraschende Ergebnisse. Denn allein die Berücksichtigung von Abwesenheiten oder auch Grundlast bei der Ermittlung der Verfügbarkeiten verschiebt häufig das Bild erheblich: Wenn einerseits – zugegebenermaßen meistens – die Überlast so messbar wird, zeigt die Praxis auch Bereiche, in denen die bisher häufig beklagte Überlast nicht darstellbar war.
Führungskräfte verfügen so über ein mächtiges Steuerungselement zur Einplanung von Aufgaben gerade in der Matrixorganisation – und damit zur Vermeidung der vielbesprochenen Überforderung von Mitarbeitern. Die Verantwortlichen für das Projektportfolio haben zudem Transparenz über die verfügbaren Projektressourcen und können diese den Prioritäten entsprechend verteilen. Dabei ist nicht zwingend ein komplexes Tool erforderlich, für einen Überblick reichen häufig Bordmittel aus. Wichtig ist, dass diese passgenau in Hinblick auf die zu erreichende Zielsetzung zugeschnitten sind und somit Aufwand und Nutzen in einem vertretbaren Verhältnis stehen.
Organisationsform für die VUCA-Welt
Die Matrixorganisation ist als Organisationsform etabliert und verspricht Flexibilität und optimierten Einsatz der Mitarbeiter. Qualitäten, die in der aktuellen VUCA-Welt mehr denn je vonnöten sind.
Um eine Organisation als Matrix erfolgreich aufzustellen und die verschiedenen Störfaktoren auszuschließen, hat sich Folgendes bewährt: eine verbindliche Klärung der Rollen aller Beteiligten, eine offene Kommunikation in allen Richtungen und ein transparentes Ressourcenmanagement als Steuerungsinstrument für die Führungskräfte.
Diese Faktoren erhalten in Zeiten von Remote Work und dem damit verbundenen reduzierten sozialen Austausch eine ganz neue, erheblich gesteigerte Relevanz. Wenn sie aber in der Unternehmenskultur verankert sind und von allen bewusst gelebt werden, wird aus der vielfach kritisierten Matrixorganisation ein Erfolgsmodell.
*Sabine Dietrich ist Management-Beraterin für Multiprojektmanagement, Projektmanagement, Führungskräfte-Entwicklung sowie Autorin. Im Jahr 2009 gründete sie ihr eigenes Beratungsunternehmen.
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