Intelligent Wargaming nutzt Echtzeitanalysen und Techniken wie Machine Learning zur Unternehmenssteuerung. Auch der CIO ist dabei gefordert. [...]
Strategiespieleklassiker wie Sim City dürften vielen bekannt sein. Die Aufgabe des Spielers besteht darin, eine Stadt zu bauen und sie immer weiterzuentwickeln. Verschiedenste Mess- und Kennzahlen werden ihm dafür vom System zur Verfügung gestellt. Wie ist die Industrie ausgelastet? Wie steht es um die Arbeitslosigkeit? Auf welchen Straßen staut sich der Verkehr? Erweitert der Spieler das Industriegebiet seiner Stadt, erlebt er alle Folgen, die das mit sich bringt, in Echtzeit. Erlebt seine Stadt einen Boom oder hat er in seiner Planung etwas übersehen?
Erschienen ist diese spielerische Wirtschaftssimulation erstmals 1989. Doch derartige Planspiele sind keine Erfindung des Computerzeitalters. Ihre Geschichte reicht laut offiziellen Angaben vielmehr sogar zurück bis in das dritte Jahrtausend vor Christus. Insbesondere das Militär bediente sich dieser Methodik, um verschiedene Taktiken und Strategien zu bewerten, mögliche Entscheidungsoptionen gegeneinander abzuwägen oder sie besser im Detail auszuarbeiten. In diesem Zusammenhang entstand schließlich der Begriff Wargaming.
Bereits in den frühen Management-Theorien wurde die Methode des Wargaming genutzt, um im Rahmen der sogenannten strategischen Unternehmenssteuerung Entscheidungen besser bewerten und planen zu können. Das galt sowohl für die strategischen als auch für die operativen Ebenen. Die Methodik erfreute sich großer Beliebtheit und fand auch spielerischen Einzug in die Lehre im Rahmen von Wirtschaftsstudiengängen – oder schlug sich in der Entwicklung von Computerspielen wie eben Sim City nieder.
Seitdem hat sich die Welt grundlegend verändert. Neue Technologien sind aufgekommen, die es Militärs und Unternehmenslenkern erlauben, noch präzisere, realistischere Daten in die Simulationen einzubinden. Die verfügbare Rechenleistung hat sich dramatisch erhöht. Die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ist weit vorangeschritten.
Nicht ganz mithalten konnte dabei jedoch die strategische Unternehmenssteuerung mit ihren bewährten Tools. Deren Planungen fußen noch immer in weiten Teilen auf Excel-Tabellen. Daher wird es höchste Zeit, den CIO viel stärker in die strategischen Unternehmenssteuerung einzubeziehen – und einen unternehmensweiten Ansatz des Intelligent Wargaming zu verfolgen.
Was steckt hinter Intelligent Wargaming?
Schon heute werden sämtliche Unternehmensdaten über digitale Schnittstellen bereitgestellt und in den diversen internen IT-Anwendungen verwendet – seien es die ERP-Systeme, Warenwirtschaftsprogramme oder auch die Personalverwaltung. Unternehmensprozesse selbst „reden“ zum Beispiel dank Process Mining oder Robotic Process Automation (RPA) mit den jeweiligen Anwendern oder mittels automatisierter Machine-to-Machine-Kommunikation eben auch untereinander. Es gibt also eine regelrechte Flut von Daten, die selbst immer neue Daten erzeugt. Unternehmen nutzen davon nur einen Bruchteil systematisch.
Genau hier setzt das Intelligent Wargaming an. Es greift auf alle diese ohnehin schon vorhandenen Daten zurück und nutzt zudem Sensoren sowie weitere verfügbare Daten entlang der Wertschöpfungskette. Durch den Einsatz von IoT (Internet of Things) und RFID-Transpondern lässt sich beispielsweise die Datenbasis für Unternehmensanalysen und -steuerungen beträchtlich erweitern. Fragen, die sich mithilfe der Daten beantworten lassen, könnten etwa lauten: Wie steht es um die Leistungsfähigkeit der eigenen Maschinen? Wie entwickelt sich der Lagerbestand in Echtzeit? Welche Ressourcen stehen tagesaktuell zur Verfügung oder fehlen?
Möglicherweise noch angereichert um Informationen von Unternehmenspartnern und Lieferanten, lässt sich diese Fülle von Daten im nächsten Schritt durch Machine Learning für das Trainieren von Algorithmen nutzen. Diese sind ihrerseits wiederum in der Lage, aktive Vorschläge für die strategische Steuerung des eigenen Unternehmens zu liefern.
Vom Planspiel zur Simulation
Das klassische Planspiel, das als statische Zahlensammlung daherkommt, wandelt sich damit zunehmend zur umfassenden Simulation. Einer turnusartigen Planung tritt ein System gegenüber, das Daten im Grunde in Echtzeit bereitstellt und auswertet. Weitgehend automatisch gesteuert, kann das Intelligent Wargaming im besten Fall dazu beitragen, einen stabilen, automatisierten Regelkreislauf im Unternehmen zu etablieren. Man könnte sagen: Der Autopilot übernimmt.
Was das in der Praxis bedeutet, zeigt ein fiktives Szenario aus dem produzierenden Gewerbe: Der Ausfall einer Produktionsstraße kann weitreichende Folgen haben. Doch welche das genau sind, ermittelt ein Algorithmus – und zwar heruntergebrochen auf die einzelne Minute oder Stunde. Ausgehend von seinem Befund, schlägt der Algorithmus dem Management zugleich noch die bestmöglichen Handlungsoptionen für die spezifischen Situationen vor. Welche Lieferkette gilt es anzupassen?
Wer ist zu benachrichtigen? Welche Ersatzlösungen kommen in Frage? Je nach Grad, Art und Dauer des Ausfalls der Produktionsstraße können sich diese Handlungsoptionen mal mehr, mal weniger stark voneinander unterscheiden. Viele dieser Lösungsschritte und deren Ausführungen ließen sich zudem automatisieren und damit direkt vom Algorithmus selbst und ohne vorherige Konsultation eines Managementvertreters anstoßen.
Neue Aufgaben für den CIO
Damit geht eine Reihe organisatorischer Veränderungen einher. Die Rolle des CEO wandelt sich. Durch den Einsatz von Intelligent Wargaming hat er die Möglichkeit, sich gemeinsam mit seiner Strategieabteilung verstärkt um die Suche nach neuen Märkten zu kümmern, mit deren Erschließung sich das Wachstum des Unternehmens langfristig sichern lässt. Der Normalbetrieb des Unternehmens ist hingegen durch den Algorithmus des Intelligent Wargaming sowie den etablierten Regelkreislauf abgesichert.
Auch die Bedeutung des CIO wächst damit. Er sollte eine entsprechende Initiative im Unternehmen vorantreiben, das Umsetzen in die Praxis ermöglichen und letztlich das Ziel einer wirklich datengetriebenen Organisation aus der IT bis in die Unternehmensführung tragen. Das bedeutet jedoch auch: Er muss die Vernetzung der eigenen Organisation stärken und dafür sorgen, dass Daten entlang der Wertschöpfungskette systematisch bereitgestellt werden.
Jede Abteilung, jeder Zulieferer, jeder Geschäftspartner ist dabei zu berücksichtigen. Die Qualität des Intelligent Wargaming steht und fällt mit der Verfügbarkeit und Qualität von Daten, die diesem System zur Verfügung stehen. Unternehmen können auf diese Weise viel mehr Transparenz über alle Prozesse hinweg schaffen. Das bringt nicht nur Vorteile in der strategischen Steuerung, sondern beispielsweise auch beim Einhalten von Compliance-Vorgaben.
* Der Strategieberater Kris Steinberg leitet bei Sopra Steria die Managementberatung mit Branchenschwerpunkt Industries.
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